Pulverfass an der Isar
Literaturhaus: Eine Ausstellung über die Gründe, den Verlauf und die Folgen der Revolution, durch die Bayern 1918 zum Freistaat wurde
Majestät, genga S’ heim, Revolution ist“, warnten einige Arbeiter den durch den Englischen Garten spazierenden Bayernkönig Ludwig III. Nach einer Friedenskundgebung auf der Theresienwiese zogen Demonstranten zu den Kasernen, wo sich das Militär mit ihnen solidarisierte. Am Abend des 7. November 1918 hatte die Regierung ihre Kontrolle über die Soldaten verloren. Die königliche Familie floh.
Ob die Anekdote stimmt, ist historisch nicht sicher. Sie unterstellt eine Volksverbundenheit des Monarchen, die es am Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr gab. Der König galt in der Bevölkerung als Marionette Preußens. Seine Flucht nahmen die meisten Bayern gleichgültig hin: Sie hofften auf einen baldigen Waffenstillstand, der zu diesem Zeitpunkt bereits zwischen Deutschland und Frankreich in einem Eisenbahnwaggon bei Compiègne verhandelt wurde.
Wo der "Freistaat" herkommt
Die von Studenten des Uni-Instituts für Bayerische Geschichte konzipierte Ausstellung macht die schlechte Versorgungslage anschaulich. In einer Gemüsekiste liegen Steckrüben, die im Winter 1916/1917 als letzte Nahrungsreserve dienten. Kurz daneben die Handschrift einer Presseerklärung Kurt Eisners: Mit den Worten „Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt! Bayern ist fortan ein Freistaat“ erklärte er die Monarchie für beendet und setzte einen Begriff in die Welt, bei dem sich heute eher Gedanken an Bier und Rautenmuster einstellen.
Bayerns erster Ministerpräsident gehörte zur USPD, die 1914 aus Protest gegen die Kriegskredite von der Mutterpartei abgespalten hatte. Weil ihm der nötige Rückhalt in der Bevölkerung fehlte, ging Eisner eine Koalition mit der SPD ein. Sie beschloss den Achtstundentag für Arbeiter, führte das Frauenwahlrecht ein und hob die geistliche Aufsicht über die Schulen auf.
Verschärfte Auseinandersetzung
Bei den ersten nachrevolutionären Wahlen im Januar 1919 erlitt Eisner mit 2,5 Prozent eine Niederlage. Inzwischen verschärfte sich die politische Auseinandersetzung: Anfang Februar scheiterte in München ein Putsch 600 revolutionärer Matrosen. Als Eisner im Landtag seinen Rücktritt erklären wollte, wurde er am 21. Februar in der Prannerstraße von Anton Graf Arco erschossen, worauf ein Mitglied des Arbeiterrats den Mehrheits-Sozialdemokraten Erhard Auer niederstreckte und zwei Abgeordnete tötete. Danach überstürzten sich die Ereignisse: Als provisorische Regierung konstituierte sich ein „Zentralrat der bayerischen Republik“ unter Ernst Niekisch (SPD, später USPD). Im März 1919 wurde der Sozialdemokrat Johannes Hoffmann zum Ministerpräsidenten Bayerns gewählt. Er wich nach Bamberg aus, während in München eine Räterepublik ausgerufen wurde, die erst von pazifistischen und anarchistischen Intellektuellen und später Kommunisten beherrscht wurde.
Ende April 1919 erkundigte sich Lenin von Moskau aus nach dem Stand. In dem wegen der Brüchigkeit des Papiers nur in Kopie ausgestellten Telegramm empfiehlt er die Verdreifachung der Löhne für Landarbeiter und den Sechsstundentag. Da standen aber die Reichswehr und Freikorps bereits vor dem bis 3. Mai blutig eroberten München. Und damit begann die Verteufelung der Revolution durch die Rechten und ihr Nachleben in der Literatur, das diese sehenwerte Ausstellung ebenfalls dokumentiert.
Robert Braunmüller
Bis 22. 2., Di bis Fr 11–19 Uhr, Sa, So und Feiertage 10–18 Uhr
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