Interview

Probleme und Proportionen: Ein Gespräch über die Bayerische Akademie der Schönen Künste

Der Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste über die Folgen der Pandemie, eine Frauenquote und den Ausschluss straffälliger Mitglieder.
Thilo Komma-Pöllath |
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Der 1944 in Burgau geborene Architekturhistoriker war Professor der Geschichte der Architektur und Baukonstruktion an der TU München, Direktor des Architekturmuseums der TU und Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München. Seit Juli 2019 ist er Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Der 1944 in Burgau geborene Architekturhistoriker war Professor der Geschichte der Architektur und Baukonstruktion an der TU München, Direktor des Architekturmuseums der TU und Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München. Seit Juli 2019 ist er Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. © Orla Connolly

Die Bayerische Akademie der Schönen Künste wurde 1948 als "oberste Pflegestelle der Kunst" in Bayern gegründet. Sie hat ihren Sitz im obersten Stock des Königsbaus der Residenz, wo in normalen Zeiten viele öffentliche Vorträge und Konzerte stattfinden werden. Der 76-jährige Architekturhistoriker Winfried Nerdinger ist Präsident dieser Institution, die zuletzt eher durch Krisen auf sich aufmerksam gemacht hat.

AZ: Herr Nerdinger, die letzten zwölf Monate waren eine schlimme Zeit für die schönen Künste. Die Politik kam in der Pandemie zur Erkenntnis: Es geht auch ohne sie.
WINFRIED NERDINGER: Es zählt zu den bitteren Erkenntnissen des vergangenen Jahres wie wenig Kultur in diesem Land zählt. Wertevorstellungen und Hierarchien sind in den Corona-Verordnungen unverhüllt zum Ausdruck gebracht worden. Es gipfelte in der Verordnung vom Oktober, in der die Kultur zusammen mit Vergnügen und Freizeit geführt wurde.

Und Bordellen.
Das war wirklich dekuvrierend. Daraufhin haben wir im November einen Protest formuliert und die Bordelle sind von der entsprechenden Website verschwunden. Jetzt hat sich Herr Söder entschuldigt, dass er die Relevanz der Kultur so wenig beachtet habe.

"Das Schwert der Kultur ist ziemlich stumpf"

Ernüchternd war auch, dass jegliche Proteste aus der Kultur ungehört blieben.
In der Pandemie hat sich gezeigt, dass das Schwert der Kultur ziemlich stumpf ist. Ob Bayerische Staatsoper, Museen, Theater- oder Konzerthäuser: Wir alle haben protestiert und es hat wenig genutzt. Obwohl wir strenge Hygienekonzepte umgesetzt haben, obwohl wissenschaftlich festgestellt wurde, dass von unseren Veranstaltungen keine Gefahr ausgeht. Da fragt man sich, was bringt die wissenschaftliche Expertise, auf die man sich sonst immer beruft, wenn sie im Fall der Kultur überhaupt nicht zählt. Nach der Pandemie wird das Gespräch mit Politikern notwendig sein, um zu evaluieren, was passiert ist. Für viele Kulturschaffende, deren Existenz vernichtet wurde, kommt das aber zu spät. Ich bin gespannt, ob es wenigstens zu Entschuldigungen kommt, die Herr Spahn ja zu Beginn der Pandemie angekündigt hatte.

Reden wir über die Akademie der Schönen Künste. Kürzlich haben sich 185 Schauspieler öffentlich als schwul, lesbisch, nicht binär und trans geoutet und eine größere Diversität in Film, Fernsehen und Theater eingefordert. Die Akademie hat 199 ordentliche Mitglieder, davon sind, wenn wir richtig gezählt haben, 35 Frauen. Das sind weniger als 20 Prozent.
Frauen sind in der Akademie unterrepräsentiert. Das ist ganz sicher so und das ist bedauerlich. Wir haben das auch mehrfach in den Sitzungen moniert. Die Wahl der Mitglieder geschieht aber jeweils in den einzelnen Abteilungen. Da kann der Präsident keinen direkten Einfluss nehmen. Ich kann nur sagen, bitte versucht den Frauenanteil zu erhöhen, und das habe ich auch getan.

Wann wird sich der Status Quo an der Akademie ändern?

Laut Satzung müssen neue Mitglieder mit zwei Drittel der Stimmen gewählt werden. Wenn 80 Prozent der Mitglieder Männer sind, wird sich am Status Quo nichts ändern.
Bei den Wahlen der vergangenen Jahre wurden immer wieder auch jüngere Künstlerinnen in die Akademie gewählt. Es ist keineswegs so, dass hier immer nur alte weiße Männer ältere Herren wählen. Das Bewusstsein für notwendige Veränderungen entwickelt sich, und die Verhältnisse werden sich ändern. Ich komme von der Hochschule, da liegt der Anteil der weiblichen Professoren trotz jahrzehntelanger Bemühungen bei etwa 25 Prozent. Das ist ein längerer Prozess, den ich auch weiter vorantreiben möchte. Mit einer Verordnung kommt man da nicht weiter.

Mit gut zureden wohl auch nicht.
Eine demokratische Veränderung von Machtstrukturen dauert, aber sie ist im Gang und es ist noch einiges zu tun. Ich bin dafür, dass man die Frauenfrage auch aggressiver diskutiert, dass man sich Ziele, auch zeitliche, setzt. Der Druck von weiblichen Mitgliedern wie beispielsweise der Schriftstellerin Dagmar Leupold, die ich um eine kritische Rede an die Akademie gebeten habe, kommt bereits, ich sehe hier Einiges in Bewegung.

Auf #Me Too haben Sie offenbar einen anderen Blick als Ihr Vorgänger Michael Krüger, der die Bewegung als "Virus" bezeichnet hat.
Das hat er als Privatperson und nicht für die Akademie gesagt. Was einzelne Mitglieder sagen, liegt immer in ihrem eigenen Ermessen. Ich persönlich halte #Me Too für einen ganz wichtigen und längst überfälligen Aufbruch in der Gesellschaft, dieser Prozess muss in Bewegung bleiben und verstärkt werden.

Nerdinger hält nichts von einer Frauenquote

Peter Michael Hamel wird die Musikabteilung im Juni abgeben, Salome Kammer hatte Interesse, wie es heißt. Ihre Wahl aber scheint wenig erfolgsversprechend bei 35 Männern und fünf Frauen. Hier könnte sich ganz konkret das neue Bewusstsein zeigen. Braucht es eine verbindliche Quote wie in Unternehmen?
Da sind Sie offensichtlich falsch informiert und setzen unseriöse Vermutungen in den Raum. Die Bewerbungsfrist ist abgelaufen und Frau Kammer hat sich nicht gemeldet. Von einer Quote halte ich nichts. Das Wesen der Akademie ist, dass "namhafte Persönlichkeiten" gewählt werden und die versammelte Kompetenz kunstfördernd wirkt. Prominenz und Exzellenz der Mitglieder kann ich nur sehr begrenzt über eine Quote regeln.

Das klingt, als hielten Sie Frauen in Kunst und Kultur für weniger exzellent und kompetent.
Aber nein! Es geht überhaupt nicht um weniger Kompetenz, Kompetenz wird nicht am Geschlecht, sondern am Fach gemessen. Es geht um die Einhaltung demokratischer Regeln bei Wahlen. Die Quote in den Parteien ist beispielsweise vom Verfassungsgericht in Brandenburg gekippt worden. Ich vertraue auf die Vernunft der Mitglieder. Es wird etwas dauern, aber es wird sich etwas verändern.

Der Skandal um Siegfried Mauser

Dieter Borchmeyer, Ihr Vorvorgänger als Präsident, hat eine 468 Seiten starke Festschrift für Siegfried Mauser herausgegeben. Der Ex-Präsident der Münchner Musikhochschule wurde wegen mehrfacher sexueller Nötigung verurteilt. Die halbe Musikabteilung der Akademie hat ihn unterstützt. Borchmeyers Nachfolger Michael Krüger widmete Mauser Gedichte und bezeichnet den Prozess als Justizskandal. Nach außen vermittelt die Akademie den Eindruck eines elitären Männerklubs, der nicht gestört werden will.
Diesen Eindruck kann ich nicht teilen. Mit dem Klischee des Männerklubs diskreditieren Sie unsere weiblichen Mitglieder, diese sind in der Akademie aktiv. Sie sitzen genauso in den Jurys und repräsentieren von Senta Berger über Brigitte Fassbaender bis Waltraud Meier, Margarethe von Trotta und Juli Zeh ausdrücklich auch den Geist und die Vielfalt der Akademie. Die von Ihnen erwähnte Festschrift hatte nichts mit der Akademie zu tun. Ich kann und will keinen Einfluss darauf ausüben, wann und wo Mitglieder der Akademie publizieren und wem sie ihre Werke widmen. Ich empfinde es als reichlich unseriös, die Dinge hier zu vermengen und die Akademie als Institution für private Handlungen einiger Mitglieder in Haftung nehmen zu wollen.

Besonders offensichtlich wurde dieses Bild, als es die Akademie nicht schaffte, Mauser aus ihren Reihen auszuschließen. Erst als eine Gruppe von sechs Frauen, darunter Kammersängerin Brigitte Fassbaender, mit ihrem Rückzug drohten, verlies Mauser die Akademie aus eigenen Stücken.
Frau Fassbaender hat sich sehr klar geäußert, aber es gab keine sechs Frauen, die mit ihrem Rücktritt drohten. Es gab Abstimmungen im Direktorium und in der Abteilung, Herrn Mauser aufzufordern, seine Mitgliedschaft niederzulegen. Das sind interne Vorgänge, die ich nicht ausbreite, jedenfalls ist Herr Mauser anschließend dem gefolgt.

In der Satzung heißt es: "Ein Mitglied kann wegen grober Verfehlung oder bei fortgesetzten Zuwiderhandlungen gegen den Geist der Vereinigung auf Antrag der zuständigen Abteilung mit Dreiviertelmehrheit der Stimmen der ordentlichen Mitglieder ausgeschlossen werden". Wenn also weniger als drei Viertel der Meinung sind, dass Herr Mauser ausgeschlossen werden muss, dann bleibt er weiterhin Mitglied?
Der Gesetzgeber hat einen möglichen Ausschluss so in unserer Satzung 1948 festgelegt. Dieser Passus ist nach der Verurteilung von Herrn Mauser im vergangenen Jahr erweitert worden. Da steht nun auch, wenn jemand rechtskräftig zu einer Haftstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wird, dann verliert er die Mitgliedschaft.

Reichskriegsflagge bei Akademie-Mitglied gefunden

Das erklärt auch Ihre Zurückhaltung bei Akademie-Mitglied Hans-Jürgen von Bose. Der Komponist stand im Dezember 2020 wegen des Vorwurfs der schweren Vergewaltigung vor Gericht, ein rechtskräftiges Urteil steht noch aus. In Boses Wohnung wurde eine Reichskriegsflagge gefunden. Bereits seit den Mauser-Prozessen wissen wir, dass Herr Bose von einem Neonazi eine Gaspistole gekauft haben soll. Der mecklenburgische Innenminister Lorenz Caffier musste deshalb zurücktreten.
Ich kenne Herrn Bose nicht, habe ihn nie gesehen oder gesprochen, und wir führen keine Listen über den Charakter und das Wohnungsinventar unserer Mitglieder. Der Ausschluss eines Mitglieds ist nur möglich nach den Regularien der Satzung. Solange es keinen derartigen Beschluss oder ein rechtskräftiges Urteil gibt, bleibt jemand Mitglied in der Akademie. Nach der alten Satzung wäre selbst nach einer Verurteilung kein direkter Ausschluss möglich gewesen.

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Sie selbst waren Gründungsdirektor des Münchner NS-Dokumentationszentrums, Ihre Eltern aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Das muss Ihnen doch in der Seele weh tun?
Mir tut einiges in der Seele weh, was in diesem Land geschieht. Aber ich bin als Präsident nicht verantwortlich für die Zusammensetzung der Akademie und deren Gesinnung, sondern für die Einhaltung unserer Satzung und die Verfolgung unserer Aufgaben und Ziele. Wenn sich Mitglieder unehrenhaft verhalten, gibt es nur das satzungsgemäße Procedere zum Ausschluss.

So langwierig sind Satzungsänderungen

Die Akademie ist eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, die vom Land Bayern getragen wird. Ist es da nicht verstörend, wenn man sich mit Frauen und Diversität schwer tut und gleichzeitig Personen wie Herrn Bose duldet?
Wir tun uns nicht schwer, sondern wir sind am Verändern, und Herr Bose wird nicht geduldet, sondern er wurde erstinstanzlich freigesprochen und über ihn entscheiden jetzt die Gerichte. Für jeden gilt in diesem Land vor einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung.

Warum kann man in eine Satzung nicht reinschreiben, dass 50 Prozent der Mitglieder Frauen sein sollen, dass im turnusmäßigen Wechsel Männer wie Frauen die Abteilungen leiten, dass, wer sich rassistisch, antisemitisch oder verfassungsfeindlich gibt, aus der Akademie ausgeschlossen werden kann. Wo ist das Problem?
Die Akademie zählt über 300 ordentliche, korrespondierende und Ehrenmitglieder und wir haben zwei Problemfälle im Bereich der Musikabteilung. Das muss auch in der richtigen Proportion gesehen werden. Wir haben nach dem Fall Mauser eine Satzungsänderung erreicht, das war ein langwieriger Vorgang, der bis zum Ministerrat ging. Wir diskutieren unsere Probleme und wir werden auf demokratischem Weg Lösungen finden.

Wann gibt es die erste Präsidentin der Bayerischen Akademie der Schönen Künste?
Ich würde mich sehr freuen, wenn sie meine direkte Nachfolgerin wird.

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