Possierlich, herzig und ganz wuschelig
Marilyn Manson gibt sich in der Tonhalle so freundlich wie nie, doch fehlt es der Show etwas an Biss
Man kann nicht sein ganzes Leben lang auf der Bühne splitternackt Bibeln zerreißen, aber ein bisschen wohliges Ekel-Gruseln hätte man sich dann doch gewünscht vom so genannten Schockrocker Marilyn Manson (40). Allzu possierlich war es anzusehen, wie er seine Tourbegleiterin herzte und Gitarrist Twiggy Ramirez durchs Haar wuschelte.
Ja, Manson war hingebungsvoll bemüht es an diesem Abend allen recht zu machen. Gleich zu Beginn gab’s Komplimente für das in die Tonhalle geschrumpfte Publikum (ursprünglich war das wesentlich größere Zenith gebucht): „You are the best crowd we had and I will fuck you.“ Nach dieser Ankündigung präsentierte Manson ein Programm, das die Fans nicht mit allzu vielen unbekannten Songs vom neuen Album „The High End Of Low“ überforderte. Routiniert und in bestechender Soundqualität präsentierte die Band zum Großteil ältere Lieder.
Und beim augenzwinkernden Geknüppel von „Beautiful People“ oder dem schleppenden Knarze-Beat von „Dope Show“ erinnert man sich auch wieder daran, wie Manson zusammen mit seinem Ex-Kumpel Trent Reznor in den 90ern die eingestaubte amerikanische Rock-Szene aufmischte, indem sie den Industrialrock populär machten. Jetzt stehen die Zeichen also auf Ausgleich: Ein bisschen Selbstzerstörung, ein bisschen Amerika-Hass, viele unflätige Worte – nichts Neues. Marilyn Manson hat sich mit vergangenen Tabubruch-Aktionen selbst zur Schockfigur gemacht, einem Ruf, dem er jetzt hinterherhinkt. Auch als Entertainer, der er zweifelsohne ist, sollte er sich was einfallen lassen. Es müssen ja nicht unbedingt zerrissene Bibeln sein.
Johanna Jauernig