"Polizeiruf": Tränen zum Abschied
„Endspiel“ beim Münchner „Polizeiruf“: Michaela May und Edgar Selge über ihre gemeinsame Arbeit, die Fälle und vertauschte Arme
Ich kündige“, sagt Kommissar Jürgen Tauber ganz ruhig, aber mit Nachdruck. Er legt seiner Chefin Marke, Ausweis und Schlüssel auf den Tisch – da ist der Fall noch gar nicht gelöst. „Endspiel“ heißt der letzte Film der „Polizeiruf 110“-Kommissare Tauber (Edgar Selge) und Obermaier (Michaela May). Ein melancholischer Krimi, in dem der junge Kollege Matthias Kurtz (Wanja Mues) den einarmigen Ermittler in seinen Bann und in illegale Machenschaften zieht. Gemeinsam wollen sie beweisen, dass der Tod von Kurtz’ Kamerad kein Selbstmord war. Jo Obermaier ist so sauer, dass sie sich versetzen lassen will. „Mir san seit neun Jahren ein Team, zumindest hab’ ich uns immer als Team verstanden. Das kann sich aber ganz schnell wieder ändern“, schimpft sie.
Es hat sich schon geändert. Das Team Selge und May gibt es nicht mehr. Am Ende geht die Zusammenarbeit der ungleichen Kommissare aber recht versöhnlich aus. „Obermaier ist zwar erst eifersüchtig, weil Tauber mit einem anderen Kollegen den Fall lösen will. Letztendlich aber steht sie für ihn ein“, sagt May der AZ. Plötzlich sind nämlich alle gegen Tauber. Auch die eigenen Kollegen, die in der Kantine Schwulenwitze über ihn reißen. Denn auch für sie ist offensichtlich: Der sonst so misstrauische Tauber ist Kurtz’ Charme erlegen.
Auch hinter der Kamera war es Edgar Selge, der den „Polizeiruf“-Dienst quittierte. Eigentlich wollte er bereits 2005 aus der Krimi-Reihe aussteigen. Doch Fernsehspielchefin Bettina Reitz, gerade neu beim BR, hat ihn umgestimmt. Schon damals einigten sie sich auf ein Ende für 2008. „Ich habe einfach nach zehn Jahren gemerkt, dass ich in erster Linie als Kommissar Tauber wahrgenommen werde: Die Leute kommen auf mich zu und sagen, wie schön, dass sie zwei Arme haben“, erzählt Selge. „Dass Michaela das Ganze anders sehen wird, war mir damals klar.“
Selge: „Die Leute sagen: Wie schön, dass Sie zwei Arme haben“
„Ja, ich war im ersten Moment sehr traurig, dass diese tolle Arbeit nun vorbei sein sollte“, sagt May. Als Chefin hätte sie auch ohne Selge weitermachen können. Doch das wollte die 57-Jährige nicht. „Das hat mich schauspielerisch nicht interessiert, weil ich als Chefin mit den Fällen emotional viel weniger zu tun gehabt hätte.“ Heute ist May Selge „sogar ein bisschen dankbar“, meint sie. „Letztendlich hat Edgar Recht: Am Höhepunkt aufzuhören ist etwas Tolles. Besser, die Menschen sind traurig, als genervt.“
Genervt waren die beide Kommissare dafür in manchem Krimi von einander. Der eher vergeistigte Tauber und die bodenständige Obermaier – das bot genug Grundlage für Reibereien. „Das sind zwei Menschen, die sich eigentlich mögen“, sagt May. „Tauber kann es aber schwer zeigen. Dieser erdige Mensch und der introvertierte Einzelgänger – das war schon eine geniale Kombination“, benennt sie das Erfolgsgeheimnis des Duos. „Vom Publikum wurde ich oft gefragt: ,Wie kommen Sie denn mit diesem schwierigen Menschen aus?’ Aber weit gefehlt – sowohl persönlich als auch als Schauspieler sind wir glückvoll aufeinander getroffen.“ Gewünscht hätte sie sich allerdings, dass auch ihre Figur mal ein Stück weit fehlbarer geworden wäre. „Aber die Obermaier hat immer irgendwie funktioniert.“
So unterschiedlich ihre Kommissare sind, so unterschiedlich gehen die beiden Schauspieler auch mit dem Abschied vom BR-Krimi um. Für Selge war beim Dreh zu „Endspiel“ kein Platz für sentimentale Gefühle – „ich konzentriere mich da ganz auf die Geschichte“, sagt er. May dagegen ließ ihren Gefühlen freien Lauf. „An einem Drehtag – es war gar nicht der letzte – habe ich plötzlich zu weinen angefangen. Ich wusste in dem Moment gar nicht, warum“, erzählt sie. „Heute glaube ich, dass da einfach alles aus mir herauskam. Das passiert ja oft in Momenten, in denen man es gar nicht erwartet.“
Einen Lieblingsfall haben beide nicht. Dazu waren die 17 gemeinsamen Fälle zu unterschiedlich, erklären sie ganz einmütig. Da gibt es Dominik Grafs „Der scharlachrote Engel“, in dem sich das Opfer (Nina Kunzendorf) am Ende mit einer Brutalität wehrt, die für manchen Zuschauer schwer erträglich war. Später gab’s für den Film den Grimme-Preis – nur eine von vielen Auszeichnungen für die Krimireihe. Beeindruckend auch „Rosis Baby“ um eine schwangere junge Frau mit Down-Syndrom, die darum kämpft, ihr Baby behalten zu dürfen. Oder „Die Maß ist voll“, wo May undercover im Biergarten ermittelt.
May: „Beim Dreh habe ich plötzlich zu weinen angefangen“
8000 Zuschauerbriefe erhielt der BR nach „Die Maß ist voll“, weil im Schlussbild der amputierte Arm Taubers vertauscht war – und zwar ganz bewusst aus ästhetischen Gründen, erklärt Selge. „Wir hatten gehofft, dass es niemand merkt.“ Angebunden sei der Arm beim Dreh nie gewesen. Die offensichtliche Verletzung Taubers habe ihm beim Spielen aber sehr geholfen. „Als Einarmiger hatte ich immer das Gefühl, gegen das Sentiment arbeiten zu müssen“, erzählt der 61-Jährige. „Dadurch konnte ich viel direkter, schroffer und unfreundlicher reagieren, als ich mir das beidarmig zugetraut hätte.“
„Wenn, dann gibt es einen Lieblingsfilm nur im persönlichen Bereich“, sagt May. „Vater unser“ war für mich lebensverändernd, beim Dreh habe ich schließlich meinen Mann, Regisseur Bernd Schadewald, kennengelernt. Insofern hat mir der ,Polizeiruf’ auch privat großes Glück gebracht.“
Über Jörg Hube als Nachfolger hatten sich beide Freude. Leider ist er im Juni gestorben. „Das ist schon traurig“, sagt Selge. „Man spürte immer den Menschen hinter Jörg Hubes Figuren.“ „Klick gemacht“, Hubes einziger „Polizeiruf“, läuft am 29. November. Danach ermittelt Stefanie Stappenbeck zwei mal solo, bevor Matthias Brandt übernimmt.
Zumindest bayerische Ehrenkommissare werden Selge und May auch nach ihrem Abschied aus der BR-Reihe bleiben. „Der Otti Fischer hat mir mal einen Rat gegeben: Leg die Polizeimütze vorne in dein Auto, dann kannst du überall stehen bleiben“, erzählt May. „Das habe ich versucht. Gebracht hat es aber leider nichts.“
Angelika Kahl
Sonntag, 8. Nobvember, 20.15 Uhr, ARD
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