Pogorelich spielt in München gegen den Teufel an
Anne Sophie Mutter kommt im elegant schwarz-weißen Leopardenmusterkleid herein. Es ist zehn vor acht, am Klavier aber sitzt noch ein versonnen-konzentrierter Mann mit Fleece-Sweatshirt, Kiffer-Strickmütze, Schlafanzughose und krault mit der Rechten die höheren Lagen – es ist nicht der Klavierstimmer, es ist Ivo Pogorelich, ewig jungenhaft, doch gleichzeitg verfrüht altersweise.
Es ist nicht der Klavierstimmer
Der Konzertveranstalter nähert sich vorsichtig, um zu sagen, dass es eigentlich gleich losginge. Pogorelich führt die Verstimmung einer Taste vor, der Veranstalter nickt, Pogorelich schwebt von der Bühne, ein Stimmer kommt, bekommt Applaus – es kann losgehen, an diesem Samstag, genau an Franz Liszts 200. Geburtstag - erst einmal mit dem Zeitgenossen Chopin, seiner Klaviersonate Nr. 2.
Jazzig verzögerte rhythmische Akzente
Pogorelichs Anschlag ist klar, und wenn zart, immer ohne Süßlichkeit. Die starke Linke verdüstert zusätzlich den Trauermarsch. Noch dem folgenden, kurz eingeschobenen, frühlingshaften Auferstehungs-Spaziergang steckt die Todeserfahrung in den Knochen – und wirklich: fortissimo-hart kommt der „Marche Funèbre” zurück. Pogorelich verzichtet völlig auf Effekthascherei, setzt leicht jazzig verzögerte rhythmische Akzente, so dass sich eine ungeheure Spannung ergibt. Romantik, das ist für den 53-Jährigen keine Nachtmusik, sondern erschütternde Empfindung – wie in Liszts „Mephisto-Walzer Nr. 1”, wenn die Hände schon zu Beginn rhythmisch präzise zu zittern scheinen, als ob sie die Nähe des Teufels ahnten. Pogorelich macht aus diesem Virtuosenstück ein Beispiel seiner sich Freiheiten nehmenden Perfektion und lässt Akkorde frei im Saal mit ihren fein mitschwingenden Obertönen verklingen.
Kraft existenziell, wie selbstverteidigend eingesetzt
Nach der nur anfangs gefährlich zerdehnten Nocturne (op. 48/1) von Chopin, kommt Pogorelichs eigentlicher Geburtstagsgruß an Liszt, mit dessen Formen brechenden Klaviersonate in h-moll, die Pogorelich extrem langsam beginnt, die Töne aber hart meißelnd, dann zart, nie verschwommen. Er lauscht Tönen nach, greift dehnend, fast leidend Passagen heraus, ohne dass jemals das Werk zerfällt. An harten Stellen wiederum stößt Pogorelich zu wie bei einem Kampf gegen den Tastenwiderstand, bei dem Kraft nie brutal, sondern existenziell, wie selbstverteidigend eingesetzt scheint.
Pogorelich ist das grandiose Gegenteil des Klassik-Zirkus’. Hier gab ein genial ringender Leidensmann triumphal ohne Triumphgefühle ein bewegend sakrales Konzert für Liszt.
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