Plötzlich ist die Rivalin da
Nach fast 20 Jahren Pause kehrte Edita Gruberova mit einer konzertanten Aufführung von Bellinis „Norma“ zu den Salzburger Festspielen zurück, wo sie 1974 als Mozarts Königin der Nacht debütierte
Die Rolle der gallischen Priesterin gilt als höchster Gipfel im Massiv des romantischen Belcanto. Die Koloraturen sind schon schwer genug. Für den achten Schwierigkeitsgrad sorgt Normas widersprüchlicher Charakter. Sie ist zur Keuschheit verpflichtete Drudin, verlassene Geliebte und mit dem Mord an ihren Kindern liebende Mutter, die am Ende der Oper wie Wagners Brünnhilde als Akt der Reinigung einen Scheiterhaufen besteigt.
Kurzum: Norma ist die Opernsuperfrau des 19. Jahrhunderts. Die Rolle verlangt selbst in einer konzertanten Aufführung nach einer großen Sängerdarstellerin. Edita Gruberova – bei aller Verehrung sei’s gesagt – war das nie. Ihr Auftritt, bei dem sie kriegslüsterne Gallier durch ihre pure Gegenwart beruhigt, bleibt aus ihrem Mund bloßes Rezitativ, statt eine dramatische Szene voller Pathos zu sein.
In „Casta diva“ dunkelt sie die schweifende Kantilene künstlich ein. Erst bei der friedenssehnsüchtigen Ekstase gerät sie dann in Primadonnen-Verzückung. In den Eifersuchtsszenen und im Finale „Quel cor tradisti“ stören Registerbrüche und ein wilder Sprechgesang, der Verdis Lady Macbeth oder einer Medea angemessener wäre als dem stilisierten Belcanto dieser Oper.
Adalgisas Triumph
Nur: Wer außer der 63-jährigen Gruberova sollte diese Rolle derzeit verkörpern? Immer wieder legt diese grandiose Sängerin die Summe ihrer Erfahrung in die Rolle: Das alles entscheidende Geständnis „Son io“ gelingt ebenso berückend wie die Süße in den beiden Duetten mit Adalgisa.
Die kanadische Mezzosopranistin Joyce Di Donato wurde nicht nur in der Handlung zu Normas gefährlicher Rivalin. Diese außerordentliche Sängerin deutet mit subtilen Farben in den Rezitativen den dramatisch Sinn aus. Sie gestaltet intelligent, bleibt aber immer im Rahmen des Schöngesangs, wo die Gruberova in zu expressionistischen Übersteugerungen greifen musste, um dramatische Wahrheit künstlich zu beschwören.
Marcello Giordani hatte zwar beim hohen C seiner Kavatine einen Frosch im Hals, erfreute aber mit offenem Kraftgesang mehr als alle anderen Polliones der letzten Jahre. Der Bass-Veteran Ferruccio Furlanetto war eine etwas grobe, mit seiner Stimmgewalt aber auch sinnlich faszinierende Verkörperung von Normas Vater Oroveso.
Der Dirigent Friedrich Haider entdeckte mit der Camerata Salzburg in Bellinis Partitur eine Delikatesse, nach der routinierte Opernorchester erst gar nicht suchen. Schade nur, dass wie in der 2004 entstandenen Plattenaufnahme der Chor „A mirare il trionfo dei figli“ fehlte, der immerhin auch in der Ouvertüre zitiert wird und so unwichtig daher auch nicht sein kann.
Robert Braunmüller
Die Wiederholung der Aufführung am 14. 8. ist ausverkauft. Am 11. und 17. 12. nimmt die Gruberova im Gasteig in konzertanten Aufführungen Abschied von Verdis „La traviata“. Karten: Tel. 0180 / 54 81 81 81