Plácido Domingo: Ein Akt des Willens

Der König der Tenöre als Bariton: Plácido Domingo als imponierender Titelheld Simon Boccanegra in der Berliner Staatsoper
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Der König der Tenöre als Bariton: Plácido Domingo als imponierender Titelheld Simon Boccanegra in der Berliner Staatsoper

Selbst für die knappste Zusammenfassung seiner einmaligen Karriere muss man tief Luft holen. Vor 50 Jahren debütierte Plácido Domingo in Mexico City. Seitdem hat er 130 Rollen verkörpert, 3400 Auftritte absolviert, über 100 Platten nebst 50 Musikvideos aufgenommen. 450 Abende als Dirigent liegen hinter ihm. Zwei US-Opernhäuser leitet er auch noch.

Vor dem Aufstieg zum König der Tenöre war der junge Sänger ein Bariton. Im goldenen Herbst seiner Karriere steigt er nun für Verdis Simon Boccanegra wieder in die tiefere Lage hinab. Den Aufführungen an der Berliner Staatsoper folgen weitere 26 in New York, Mailand, London und Madrid folgen. Für den an der Zwietracht Genuas zerbrechenden Dogen braucht man neben Stimme vor allem Persönlichkeit und Bühnenpräsenz. Die hatte der heute 68-Jährige schon immer. Seine wundervoll bewahrte, bronzene Mittellage wirkte nur selten etwas rissig, die tiefen Passagen unterhalb der genuinen Sphäre des Tenors mit einer gewissen Körnung natürlich und tonschön.

Die Färbung der Stimme passte vor allem zum jungen Boccanegra des Prologs, der 25 Jahre vor den drei folgenden Akten spielt. Seine gebieterische Ansprache und die Verfluchung Paolos in der Ratsszene hatte das Format von Domingos „Otello"-Glanzzeiten, nach der Pause ergriff seine milde väterliche Resignation. Plácido Domingo war aber vor allem er selbst. Sein Boccanegra imponierte als Akt des Willens.

Die derzeit konkurrenzlose Anja Harteros stellte ihn in den Schatten. Mit lyrischer Wärme verwandelte sie Verdis kalten Friedensengel in eine ernste Frau aus Fleisch und Blut. Der Mann an ihrer Seite war Tenor Fabio Sartori. Als Gabriele Adorno prunkte er mit heldischem Metall, das noch ungeschliffener wirkte als der granitene Fiesco des darstellerisch blassen Bassisten Kwangchul Youn. Die Düsternis von Verdis Musik harmonierte mit dem heftigen Expressionismus der Berliner Staatskapelle unter Daniel Barenboim. Der Dirigent trat mit dem Regisseur Federico Tiezzi so lange nach vorn, bis der letzte Buhrufer Halsweh hatte. Die Kooperation mag der Kasse der Berliner Staatsoper und Barenboims Ruhm föderlich sein. Aber dieser symbolschwangere Kostümschinken roch streng nach Mottenkugeln und Opernkooperationskommerz.

Robert Braunmüller

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