Pinakothek der Moderne: Hauptsache schön exzentrisch

Das neue Jahr in der Pinakothek der Moderne verspricht aus dem Rahmen zu fallen. Zumindest ab und zu - mit frechem Schmuck, exaltierter Kunst und einem alten Bekannten namens Matthew Barney
Christa Sigg |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Warum nicht mal die Seife um den Hals tragen? Der Norweger Sigurd Bronger sorgt für außergewöhnliche Hingucker - hier "Camay" aus dem Jahr 2005.
Die Neue Sammlung - The Design Museum 3 Warum nicht mal die Seife um den Hals tragen? Der Norweger Sigurd Bronger sorgt für außergewöhnliche Hingucker - hier "Camay" aus dem Jahr 2005.
Anna Uddenbergs "Climber" von 2019 ist keine harmlose Kraxlerin, aber scheinbar exzentrisch.
Gunter Lepkowski, Kraupa-Tuskany Zeidler Berlin 3 Anna Uddenbergs "Climber" von 2019 ist keine harmlose Kraxlerin, aber scheinbar exzentrisch.
Die Graphische Sammlung zeigt ab 13. Juni fantastische Druckgrafik von Hendrick Goltzius (1588-1617) - hier der Kupferstich "Phaeton" aus der Folge "Die vier Himmelsstürmer" von 1588,
Staatliche Graphische Sammlung München 3 Die Graphische Sammlung zeigt ab 13. Juni fantastische Druckgrafik von Hendrick Goltzius (1588-1617) - hier der Kupferstich "Phaeton" aus der Folge "Die vier Himmelsstürmer" von 1588,

Für die Wiesn wird es am 16. Oktober zu spät sein. Aber Künstler pflegen zum Aufbau von Ausstellungen anzureisen, und womöglich hat Matthew Barney sogar Lust, dieses crazy Oktoberfest zu besuchen? Der Meister der Mythen und orgiastischen Bildsequenzen könnte sich von "The World's Greatest Beer Party" inspirieren lassen. Der zu erwartende Konsum von mindestens sechs Millionen Maß ergibt - verrechnet mit den schlecht eingeschenkten - einen 55 000-Hektoliter-Biersee, der ganz sicher appetitlicher blubbert als der Fäkalienfluss in Barneys "River of Fundament".

Antike Helden
mühen sich auf
einem Football-Feld

Vor zehn Jahren hatte die megalomane Filmoper Premiere am Nationaltheater, und nicht wenige im Publikum wurden blass um die Nase. Irgendwann wusste man ja auch nicht mehr, ob es in Reihe 27 tatsächlich gestunken hat oder man einfach nur roch, was man sah. Und nun? Soll Matthew Barney München nichts weniger als ein Gesamtkunstwerk bescheren - im Zusammenspiel von Graphischer Sammlung und dem Haus der Kulturinstitute. Das war der Überraschungsknüller bei der Programmpräsentation der Pinakothek der Moderne.

Grundlage ist wieder ein Film Barneys, in dem es um Körper und Gewalt, genauso um Verletzlichkeit geht, und das im Zusammenhang mit Sport, konkret: Football. Premiere ist während der Olympischen Spiele in Paris, in München soll der cineastische Part von Objekten und Grafik begleitet sein: An der Katharina-von-Bora-Straße wird im Lichthof ein Football-Feld aufgebaut, das Spiel läuft dann virtuell ab. Dazu passen die gerne sportlichen Helden der Abgusssammlung, die das Terrain normalerweise besetzen. Barneys Storyboards werden zudem im Studiensaal ausliegen.

Großes Theater also. Schön wäre freilich, wenn sich das etwas mehr auf die Pinakothek der Moderne konzentrieren würde. Immerhin wird der Vitrinengang hin zu den Schauräumen der Graphischen Sammlung barneysiert.

Hendrick Goltzius und Peter Paul Rubens müssen sich im Vorfeld also ins Zeug legen, um da auch nur halbwegs mithalten zu können. Nichtsdestotrotz verspricht diese Kombination aufregend zu werden. Beide Künstler haben gerade mit Kupferstichen die Werbetrommel gerührt. Technisch ausgefeilt und in der Ausführung virtuos gingen so die neuesten Gemälde in der portablen Druckversion quer durch Europa (ab 13. Juni).

Flatz macht das sehr viel plakativer, kracherter. Mit einigem Wumm geht die Versteigerung seiner Tattoos quer durch die Medien, das ist nicht nur hautig, sondern auch haarig. Fast wird dabei übersehen, dass zwei Säle dicht mit seinen Werken gefüllt sind und man in dieser Retrospektive einiges über Statussymbole und deren Demontage, Kraftmeierei und deren Demaskierung erfährt.

Bereits beim Begriff "exzentrisch" wird die Schaulust angestachelt. Die "Ästhetik der Freiheit", wie es im Untertitel heißt, schraubt die Erwartungen ordentlich nach oben, lässt aber auch Spielraum für alles und nichts. Künstlerinnen und Künstler wie Pipilotti Rist, Jonathan Meese, Maurizio Cattelan oder Anna Uddenberg sind dafür schon mal die halbe Miete (ab 25. Oktober).

Das Architekturmuseum nimmt mit "The Gift" Heikles ins Visier: Architektonische Schenkungen sind nicht immer ein Segen, manchmal wird damit ganz massiv Einfluss ausgeübt - auf eine Stadtgesellschaft, auf die Umwelt. Und wenn in der Mongolei plötzlich Plattenbauten vom Himmel fallen und die alten Jurten ersetzen, muss das längst kein Geschenk sein (ab 29. Februar).

Brisanter noch sollte es mit "Visual Investigations", der visuellen Recherche werden. Das neue Wunderwerkzeug verknüpft etwa Raumanalyse und 3D-Modellierung und kann so Gewalt aufdecken, die vorher nicht "sichtbar" war: in chinesischen Internierungslagern zum Beispiel. Oder die Folgen einer Klimakatastrophe ermessbar machen (ab 10. Oktober).

Wenn Mutters
Gallensteine
am Hals baumeln

Schmuck kann übrigens genauso kritisch sein. Oder eine Haltung vor Augen führen. Sigurd Brongers Schatulle ist dafür der fantasievollste Beweis. Vieles passt gar nicht in die üblichen Kästchen für Ringe und Ketten. Die gefassten Gallensteine seiner Mutter dürften gerade noch unterkommen, mit den Luftballons wird es schon schwieriger. Das ist oft genug saukomisch, manchmal bleibt einem das Lachen allerdings im Halse stecken. Und wer glaubt Brongers Kreationen richte sich an Exzentriker, darf sich vom Gegenteil überzeugen: Die norwegische Königin trägt seinen Schmuck und ist Schirmherrin dieser Werkschau in der Neuen Sammlung (ab 2. März).

Die Design-Spezialisten sorgen auch für das nächste Rotundenprojekt, das vor allem nach dem Besuch der Ausstellungen guten Zuspruch haben wird. Zehn Designer-Sofas stehen bereit, nicht nur um sich zu erholen, sondern um sich beim Rumfläzen Gedanken über eine Körperhaltung zu machen, die doch sehr dominant geworden ist. Sitzen ist das neue Rauchen. Die Sofalandschaft kann und soll aber auch zum Treff-, Plauder- und Debattierforum werden (ab 26. April).

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.