Pierre Jarawan: Eine spannende Identitätssuche

Ein ganz erstaunliches Debüt: Der Münchner Pierre Jarawan hat den Roman "Am Ende bleiben die Zedern" geschrieben. Die AZ hatte den Autor im Interview.
von  Interview: Volker Isfort
Pierre Jarawan ist vor allem der Slam-Gemeinde ein Begriff. Das hat sich jetzt geändert.
Pierre Jarawan ist vor allem der Slam-Gemeinde ein Begriff. Das hat sich jetzt geändert. © Key Munich

München - Die meisten Autoren seiner Generation erschöpfen sich in Beziehungsromanen und der Verlängerung der Pubertät. Pierre Jarawan ist eine schillernde Ausnahme. Der 30-jährige Münchner Slam-Poet beschreibt in seinem Romandebüt "Am Ende bleiben die Zedern" die spannende Geschichte einer Identitätssuche zwischen Deutschland und dem Libanon.

Aus heiterem Himmel verschwindet der Vater des jungen Samir, nachdem die Familie vor dem libanesischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen ist. Zwanzig Jahre später spürt Samir, dass er selbst nicht frei für sein Leben ist, bis er das Geheimnis um seinen Vater lösen kann. Er beginnt die Reise in den Libanon und in eine Vergangenheit, die sein Leben verändern wird. Pierre Jarawans Roman ist ein literarisches Debüt von erstaunlicher Reife, Welthaltigkeit und erzählerischer Kraft.

AZ: Herr Jarawan, Sie sind einer der bekanntesten Poetry Slammer, wie kamen Sie auf die Idee, einen Roman zu schreiben?

 

PIERRE JARAWAN: Künstlerisch war es für mich der nächste Schritt, nachdem ich viele Jahre für die Bühne geschrieben hatte. Ich wollte die Lebenswelt einer Familie beschreiben, die zwischen zwei Ländern und Kulturkreisen hin- und hergerissen ist. Und dabei besonders das Gefühl der zweiten Einwanderergeneration fassbar machen, die Kinder, die mit den Geschichten über die alte Heimat ihrer Eltern aufwachsen.

 

Haben Sie sich als Flüchtlingskind empfunden?

 

Nein. Ich bin zwar in einer sehr multikulturell geprägten Umgebung aufgewachsen, aber obwohl ich von vielen Libanon-Flüchtlingen umgeben war, war das nie wirklich Thema. Aber das im Roman erwähnte Bild der Satellitenschüsseln, die in die Heimat zeigen, ist ein Bild meiner Kindheit. Und in der Schule war es immer etwas Exotisches, einen libanesischen Hintergrund zu haben, weil es halt selten war. Ich habe erst durch die aktuelle Situation begonnen, auch die Fluchtgeschichte meiner Eltern zu hinterfragen. Das Buch ist trotzdem kein autobiographischer Roman. Es gibt natürlich Berührungspunkte, aber eher auf emotionaler Ebene. Mir war es wichtig, dass der Roman sich für den Leser authentisch anfühlt.

 

Der Erzähler Samir beschreibt den Libanon in seiner politischen und gesellschaftlichen Schizophrenie.

 

Politik und Gesellschaft sind im Libanon eng verbunden. Darum war es notwendig, den großen Rahmen zu spannen, also die Geschichte des Libanons der vergangenen vierzig Jahre mit zu erzählen, was den Bürgerkrieg und die Jahre danach einschließt. Für mich war der Libanon lange Zeit ein Urlaubsland, in das ich mit meiner Familie zu anderen Verwandten fuhr, ich denke da an Badetage im Mittelmeer und Ausflüge zu Tempeln. Das ist eine verklärende Sicht auf das Land. Das erste Mal, als ich erlebt habe, dass im Libanon etwas schief läuft, war, als die Zedernrevolution ausbrach, 2005, nach dem Attentat auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri. Es hatte auch etwas Schmerzhaftes, sich mit den Schattenseiten des Landes zu beschäftigen, das ich lieben gelernt hatte.

 

Sie mussten die Geschichte des Libanon erst recherchieren?

 

Die Gespräche mit in Deutschland lebenden Libanesen haben mir geholfen. Dann war ich 2015 einen Monat im Libanon und habe ein Recherchezentrum besucht. Die Mitarbeiter dort haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Gräuel des Bürgerkriegs aufzuarbeiten, indem sie Dokumente sammeln und Augenzeugen befragen. Sie versuchen, die Wahrheit über den Krieg herauszufinden und tabuisierte Themen zur Sprache zu bringen – noch immer werden mehrere tausend Menschen vermisst.

 

Kaum ein Land hat aktuell so viele syrische Flüchtlinge aufgenommen wie der Libanon.

 

Statistisch ist dort schon jeder dritte Bewohner ein Syrer. Das ist natürlich ein Problem. Denn man darf dabei nicht vergessen, dass Syrien lange Zeit als Besatzungsmacht aufgetreten ist. Die ganze libanesische Politik und das Parlament wurden bis vor zehn Jahren von Damaskus aus bestimmt.

 

Dennoch gilt die Lebensfreude der Libanesen als einzigartig.

 

Das ist absolut so. Nicht nur bei jungen Menschen. Die Haltung ist beides, bewundernswert und fatalistisch. Einer hat es so ausgedrückt. "Wenn in Paris eine Bombe hochgeht, dann ist das Land monatelang gelähmt. Wir wachen auf und machen weiter." Das ist tragisch, denn es zeigt, dass die Menschen gelernt haben, mit permanenter Lebensgefahr wie selbstverständlich zu leben. Die Libanesen feiern jeden Abend, als sei es der letzte.

 

Wann haben Sie für sich herausgefunden, dass Sie spannend erzählen können?

 

Mit 16 Jahren habe ich mich zum ersten Mal an einem Roman versucht, der zeigt ganz deutlich, dass ich nicht schon immer erzählen konnte. Es ist heute recht peinlich diesen Text zu lesen, der bleibt in der Schublade. Das Problem damals war: Ich wollte einen Roman schreiben, weil ich gerne Romane las, nicht, weil ich etwas zu erzählen gehabt hätte. Das war dieses Mal anders. Die Technik des Schreibens lernt man auch dadurch, dass man viel und bewusst liest.

 

Sie haben erfolgreich die Slamform betrieben, sind trainiert auf pointierte, kurze Geschichten. War es schwierig, in epischen Dimensionen zu denken?

 

In gewisser Weise sagt einem die Geschichte, wie man sie zu erzählen hat: Wenn du eine große Auflösung am Ende planst, dann ist es nötig, vorher falsche Fährten zu legen. Mir war von Anfang an klar, was wann mit welcher Figur passieren würde. Die Slam-Erfahrung hat mir sogar eher dabei geholfen, jedes Kapitel auf einen eigenen Höhepunkt zusteuern zu lassen.

 

Sie spielen auch mit dem Klischee des orientalischen Erzählers.

 

Mit einem Augenzwinkern. Das blumige, bildhafte Formulieren ist einfach Teil der arabischen Erzähltradition und musste in den Roman eingebunden werden. Es passte gut zur Geschichte: Samir erlebt seinen Vater als orientalischen Erzähler von bunten Märchenwelten und Gutenacht-Geschichten, bevor er spurlos verschwindet. Es sind genau diese Geschichten, an die Samir sich sein Leben lang erinnert und die ihn auf der Suche nach seinem Vater begleiten.

 

Der Roman erscheint nun mitten in der zugespitzten Debatte über Flüchtlinge.

 

Ja, er wurde von der Wirklichkeit eingeholt. Als ich 2014 mit dem Schreiben begonnen habe, gab es noch nicht einmal Pegida. Beendet habe ich ihn vergangen Juli. Ich fände es schade, wenn man meinen Roman jetzt auf dieses Thema reduziert. Es ist eine Familiengeschichte, verbunden mit der Geschichte des Nah-Ost-Konflikts und dem Thema der Suche nach der Heimat. Für mich ist das Buch auch eine Hommage an die Phantasie und die Bedeutung von Geschichten für unser Leben.

 

Ist der Roman der erste Schritt weg von der Slam Bühne?

 

Nein. Natürlich ersetze ich jetzt erst einmal die Bühne durch den Buchladen und mache Lesungen. Aber ich bin der Slam Szene weiterhin verbunden, werde Slams moderieren und gestalten.


Über den Autor: Der 30-jährige, in Jordanien geborene Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter erhielt 2015 das Literaturstipendium der Stadt München.

Pierre Jarawan stellt "Am Ende bleiben die Zedern" (Berlin Verlag, 446 Seiten, 22 Euro) beim Festival "Wortspiele" am 10. März und als Buchpräsentation am 13. April vor (Ort: Ampere, Muffatwerk).

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