Physikalische Neugier

Die Pinakothek der Moderne zeigt zeitgenössische Skulpturen und Klassiker der US-Fotokunst
von  Roberta De Righi

Die „Diamantsonne” ist ein Rohrkrepierer: Der Münchner Bildhauer Benjamin Bergmann zündete den Feuerwerkskörper in einer Glasvitrine. Das Ergebnis ist durchaus kunstvoll verteilter Dreck und Nebel, aber kein Feuerwerk. Doch bei längerer Betrachtung wirkt diese Installation auch wie eine Versuchsanordnung über die Gesetze des Himmels. Bergmanns „Diamantsonne” ist jetzt in der Schau „Im Raum des Betrachters” zu sehen, in der die Pinakothek der Moderne eine Auswahl mit 25 Skulpturen von 20 zeitgenössischen Künstlern aus den Sammlungsbeständen zeigt.

Und ohne dass die Exponate in einen thematischen Zusammenhang gepresst werden, tun sich dennoch Verbindungslinien auf: Physikalische Neugier scheint auch Jonathan Monk anzutreiben, wenn er nach der Mitte eines A4-Papiers mit Hilfe zweier Filmprojektoren sucht. Und man hat angesichts des Flimmerns und Wackelns eines schwarzen Punktes auf der Projektionsfläche den Eindruck, es handele sich dabei um eine sehr anschauliche, techno-poetische Illustration der Heisenberg’schen Unschärferelation: Man kann nicht Ort und Impuls eines Teilchens gleichzeitig messen.

Einen völlig anderen Ansatz verfolgt Roman Ondák: Für „Passage” bat er 500 japanische Stahlarbeiter, aus dem Alupapier ihrer Pausen-Schokolade Miniatur-Plastiken zu formen. Manche kneteten und falteten sorgfältig kleine Bäume, Männchen und Tiere, andere schleuderten unbeholfen archaische Wesen in die Welt. In der Masse, auf einem riesigen Tisch ausgebreitet, entwickelt das Ganze nicht nur eine zart-expressive Schönheit, sondern wird durch die Vielfalt an schönen und schrecklichen Gestalten zu einem Spiegel des kollektiven Unbewussten.

Das Prinzip der Reflexion spielt nicht zuletzt bei Heimo Zobernig eine Rolle: Seine Installation aus 12 mit Spiegelfolie beklebten Wandelementen holt das Publikum ins Bild und baut die Kunst so tatsächlich zum „Raum des Betrachters” aus. Parallel dazu präsentiert die Pinakothek der Moderne auch einen Überblick über ihre üppigen Bestände an amerikanischer Fotografie. Die Ausstellung unter dem Titel „True Stories” beginnt bei den Klassikern der Dokumentarfotografie und führt bis zu den New Yorker Momentaufnahmen aus Zoe Leonards „Analogue”-Serie.

Dazu gehören die nur auf den ersten Blick unversehrten Landschaften von Robert Adams, die berühmten Straßenszenen mit Selbstporträt von Lee Friedlander und Garry Winogrands Massen-Impressionen aus dem öffentlichen Raum. Dazwischen findet man die immer wieder fantastische Stilisierung des Trivialen durch den großen Einzelgänger William Eggleston, der den Trash durch teure Farbfilm-Technik adelte, ebenso wie die melancholische Monumentalisierung der amerikanischen Mobilitäts-Kultur bei Steven Shore. Neben Larry Clarks „Tulsa”-Serien, welche die allgegenwärtige Gewaltbereitschaft einer Nation aus Waffennarren festhalten, gibt es die leise, eindringliche Position von Judith Joy Ross, die Besucher des Vietnam Veterans Memorial aufnahm, deren Gesichter höchst unterschiedliche Gefühle angesichts der Schrecken des Krieges reflektieren.

Bis 30. September, täglich außer Mo, 10 bis 18, Do bis 20 Uhr

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