Phaetons Absturz im Wagen

„Von Ewigkeit zu Ewigkeit“: Auf ihrer Homepage rechnet die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek mit dem Politiker Jörg Haider ab
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„Von Ewigkeit zu Ewigkeit“: Auf ihrer Homepage rechnet die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek mit dem Politiker Jörg Haider ab

"Lieben Sie Jelinek, Peymann, Turrini und Co.? Oder wollen Sie Kunst und Kultur?“, plakatierte die FPÖ im Wahlkampf 1995. Nun reagiert die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek auf ihrer Homepage literarisch auf den Unfalltod des Rechtspopulisten. Ohne den Namen zu nennen, beschreibt sie in 150 absatzlosen Zeilen die letzten Minuten Haiders in einem inneren Monolog. Ein Bild der Trauerfeier macht den Zusammenhang allerdings unmissverständlich.

„Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ ist nicht Jelineks erster Text über den ehemaligen Kärntner Landeshauptmann. Schon in ihrem im Jahr 2000 am Berliner Ensemble uraufgeführten Österreich-Stück „Lebewohl“ teilten sich 13 Schauspieler die Rolle Haiders als jugendliche Sportskanonen, Taucher oder Bergsteiger. Schon vor dieser sarkastischen Abrechnung mit dem „homoerotischen Männerbund FPÖ“ verhängte sie aus Abscheu vor der österreichischen Presse und Haider ein Aufführungsverbot ihrer Stücke an den Bühnen der Alpenrepublik.

Aus Jelineks neuem Text, der wie viele ihrer Arbeiten durch seine langen Sätze wie im Rausch geschrieben wirkt, darf nicht wörtlich zitiert werden. Er handelt von einem Erlöser, der ergebene Jünger um sich geschart hat. Wie Leitmotive wirken Anspielungen auf Johann Wolfgang von Goethe Ballade über den nächtlich dahinjagenden „Erlkönig“ und das Automodell, bei dessen Taufe ein Blick in ein mythologisches Lexikon versäumt wurde: Bei der Spritztour mit dem Sonnenwagen seines Vaters stürzt Phaeton mit dem Wagen ab und löst eine Katastrophe universalen Ausmaßes aus.

Jelinek, die sich einmal als „barockes Racheengerl“ bezeichnete, rächt sich an Haider mit dem nur durch ein wenig Ironie erleichterten Holzhammer der Entlarvung. Sie erinnert an Haiders Vorschlag, mutmaßlich straffällige Asylbewerber auch ohne rechtsgültige Verurteilung auf der Saualpe zu internieren und stellt den albernen Reklameaufkleber dieses Wandergebiets ans Ende des Textes.

Am Ende steht die Stille nach dem Handygeklingel, der letzten Drohung des Erlösers. Und natürlich zeigt sich in seinem Tod durch überhöhten Druck aufs Gaspedal das fatale Erbe der Nazis. Die Jelinek wäre nicht die Jelinek, wenn sie sich diese Anspielung entgehen ließe.

RBR

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