Peter Nichols: Die Sommer mit Lulu

Der amerikanische Schriftsteller Peter Nichols schreibt über die Liebe, Mallorca und das Mittelmeer.
Es war im Department of Motorvehicles in Texas. Peter Nichols musste seinen Führerschein beantragen und verkürzte sich die Wartezeit mit Schreiben. „Da hatte ich auf einmal das Bild im Kopf von zwei alten Menschen, die sich streiten und schließlich die Klippen runterfallen“, sagt Nichols. „Aufgeschrieben waren das sechs Seiten, und als Kurzgeschichte funktionierte es nicht richtig. Und dann habe ich zwei Jahre lang gebraucht, um mir klar zu machen, welche Vorgeschichte zu diesem ungelösten Konflikt geführt hat. Ich wollte einfach wissen, wer Gerald und Lulu waren.“
Das will auch der Leser von „Die Sommer mit Lulu“, Nichols 500-seitige Verlängerung dieser Urszene in die Vergangenheit. Immerhin wusste Nichols schon damals, welche Klippen er für den tödlichen Sturz wählen würde, nämlich die im mallorquinischen Calla Ratjada, dort, wo der in England aufgewachsene Amerikaner die Sommer seiner Jugend verbrachte – im immer noch existenten Hotel Sea Club. Dieses hat er eins zu eins in den Roman eingebaut – mitsamt skurril-mondänen Gästen und der resoluten Betreiberin von damals, die Pate für die extravagante Lulu stand.
„Ich war ein wenig ängstlich, als ich nach dem Roman nach all den Jahren wieder ins Hotel gekommen bin“, sagt Nichols, „aber das Buch hat zu meiner großen Erleichterung allen gefallen. Erst haben sie es als ein ,Who is Who?’ gelesen, aber dann haben sie gemerkt, dass ich ganz andere Charaktere genommen habe und nur hier und da ein paar Wesenszüge der alten Clique.“ Der Titel „Die Sommer mit Lulu“ klingt nach erotischem Sommerroman, aber dazu ist Nichols zu sehr vom Leben gezeichnet. Drei Exfrauen haben ihn um ein paar naive Liebes- und Lebens-Illusionen gebracht, dafür kennt er sich bestens aus mit ungelösten Langzeitkonflikten. Diese emotionale Reise durch das Leben von Gerald und Lulu hat natürlich auch viel mit Peter Nichols selbst zu tun. Auch andere Schauplätze seines Lebens fließen in den Roman ein: Als junger Mann war er einmal in einen Drogenschmuggel in Marokko verstrickt, so werden es auch Figuren in seinem Roman.
Worin aber besteht das rätselhafte Zerwürfnis, das die große Liebe entzweite? Die Frage danach ist der Motor, der diesen in Zeitsprüngen gestalteten Mittelmeer-Roman unter Spannung setzt. „Es ist ein Buch darüber, wie sich das Leben entwickelt. Nicht nur Gerald, wir alle sind doch Odysseus“, sagt Nichols. „Der wollte auch nicht, als er nach Troja aufbrach, zehn Jahre für den Krieg verschwenden und zehn Jahre für die Rückkehr, die jeder Segler in zwei Wochen schafft. Aber so ist es halt. Leben ist das, was passiert, während du Pläne schmiedest, hat John Lennon gesagt. Das ist auch für mich die zentrale Idee des Buches.“ Und die Quintessenz seines eigenen Lebens.
Jahrelang hat er – wie seine Figur Gerald – auf einem Boot gelebt und ist durchs Mittelmeer gesegelt. „Es war mein Zuhause“, sagt Nichols. „Dieses Freiheitsgefühl ist durch nichts zu übertreffen.“ Seine eigenen Irrfahrten führten ihn aber auch als Drehbuchschreiber nach Hollywood – und er war wie so viele immer kurz vor dem großen Ding: „Ich hatte Lunch mit Schauspielern, Regisseuren, Produzenten und tolle Agenten von Debra Winger, Al Pacino oder Robert De Niro kennengelernt. Wir haben intensiv darüber geredet, welche Rolle sie spielen könnten. Tja, und nach und nach passierte: nichts! Ich wurde bezahlt, aber es war sehr frustrierend.“ Auch diese Zeit spiegelt Nichols in einer Nebenfigur, einem Filmproduzenten. Sein sechs Jahrzehnte umspannenden Buch ist ein intelligenter Unterhaltungsroman mit vielen überraschenden Wendungen, bevölkert mit hochinteressantem Personen. Wer davon nun in Wirklichkeit sein Leben kreuzte, interessiert Nichols nicht sonderlich. „Ich sehe es wie Graham Greene, der mal gesagt hat: ,Die Menschen, an die ich mich am besten erinnern kann, sind die, die ich erfunden habe.’“
Peter Nichols: „Die Sommer mit Lulu“ (Klett-Cotta, 508 Seiten, 22.95 Euro)