Peter Gauweiler: "Wir Evangelische sind bayerischer Urbestand"

Der 68-jährige Rechtsanwalt und CSU-Politiker war Kreisverwaltungsreferent in München, Staatssekretär im Bayerischen Innenministerium und Umweltminister dazu Landtags- und Bundestagsabgeordneter.
Auf dem Cover des kleinen Buchs von Peter Gauweiler ist eine Vollkornbrotscheibe, in die ein Kreuz eingestanzt ist. Womit wieder einmal klar wird: Die Evangelischen stehen für "trocken Brot". Und die Katholiken können's mal wieder krachen lassen. Aber stimmt das denn? Das fragen wir den altbayerischen Autor von "Evangelisch in Bayern".
AZ: Herr Gauweiler, wenn man Ihr Büchlein liest, könnte man meinen: Bayern ist protestantisches Kernland!
PETER GAUWEILER: Na ja, ich sage bloß zu meinen katholischen Freunden, wenn die mir zu krachledern daher kommen: Schaut doch mal auf das bayerische Wappen, da ist gleich mal der Blaue Panther der Pfalzgrafen von Ortenburg zu sehen, Herrscher, die sich ganz früh der Reformation angeschlossen haben. Und habt Ihr schon mal der Bavaria ins Gesicht geschaut? Königin Therese von Bayern, die Frau von Ludwig I., soll das Vorbild gewesen sein, eine Evangelische. Und dann komme ich vom Hundertsten ins Tausendste. Denn mir ging es mit "Evangelisch in Bayern" genau darum: Wir Evangelische sind keine zugewanderte preußische Sekte, sondern bayerischer Urbestand.
Was Sie zu gewagten Thesen hinreißt: Die Bayern sind eigentlich alle Protestanten – und als es die Reformation noch nicht gab: Proto-Protestanten.
Schon Tassilo wollte gegen Karl den Großen eine eigene reformierte bayerische Kirche. Kaiser Ludwig der Bayer war von München aus ein Gegenspieler gegen den Papst in Avignon. Als die Schweden mitten im Dreißigjährigen Krieg in München eingezogen sind, wurde am Himmelfahrtstag 1632 wieder ein protestantischer Gottesdienst in der Hofkapelle der Residenz gefeiert – mit zwei Wittelsbachern an der Seite, denn die pfälzische Seite war ja protestantisch, und von der stammt das bayerische Königshaus ab bis hin zum Herzog Franz. Meine Familie ist zwar münchnerisch, aber die Vorfahren waren pfälzisch-bayerisch. Allerdings war die Pfälzer Linie schon früh calvinistisch und das ist dann doch etwas zu karg.
Sie machen auch gelegentlich protestantisches Namedropping, um Katholiken klar zu machen, um wieviel ärmer Bayern ohne Luthertum wäre.
"Der Brandner Kaspar" ist von Ferdinand von Kobell, einem Lutherischen, was mich mit all seiner Himmelssatire daran erinnert: Alle bayerischen Königinnen bis Ludwig II. waren evangelisch. Und Marie, die Frau von Maximilian II., ist am Ende nur katholisch geworden, weil sie mit ihrem Mann im Paradies zusammen sein wollte.
Graf Rumford war evangelisch, wenn auch zugereist, Karl Valentin war Lutheraner, ebenso Sophie und Hans Scholl.
Und Luthers Beichtvater aus Wittenberg und Mentor, Johann von Staupitz, war ein Wahlmünchner hier am Augustinerkloster und schrieb an Luther: "Du hast uns vom Schweinetrog auf die Weiden des Lebens zurückgeführt..." Ich bin immer noch enttäuscht – auch wenn ich das Jagdmuseum und seinen Direktor, den Stadtrat Manuel Pretzl, sehr schätze – dass die ehemalige Augustinerkirche in der Neuhauser Straße nicht zur einzigen lutherischen Kirche innerhalb der Altstadt Münchens geworden ist.
Was ist es denn, was Protestanten zu einer Gesellschaft beisteuern?
Mir schmeckt das Protestantische in München und Oberbayern wie ein Vollkornbrot inmitten eines Festmahls. Ich mag beides. Aber ohne dieses "Nichts im Übermaß" würde etwas Gewichtiges fehlen. Man darf ja auch den Zuckerbäcker nicht gegen einen Diätkoch ausspielen. Als ich ins Bayerische Kabinett kam, hat der Strauß vor der ersten Sitzung zu mir gesagt: "Sie san doch a Evangelischer, das weiß ich!" Ein anderer Kollege hat dann auf den damaligen neuen Wissenschaftsminister Wolfgang Wild gedeutet: "Aber der ja auch!" Darauf hat der Strauß sich theatralisch an den Kopf gelangt und gesagt: "Ja um Gottes Willen, das hab ich jetzt gar nicht bedacht"– und gelacht. Aber eine Rolle spielt es eben doch.
Mit Markus Söder bekäme Bayern nach Günter Beckstein wieder einen evangelischen Ministerpräsidenten.
Es gab schon mehr, als man denkt. Schon Ludwig von der Pfordten war Lutheraner. Aber derjenige, der in wenigen Monaten mit der Säkularisation eine Kulturrevolution gegen die Klöster und katholischen Kirchenbesitz durchgezogen hat, war selbst katholisch getauft: Maximilian von Montgelas, den ich hier am Promenadeplatz als Riesen-Statue täglich vom Fenster aus sehe, wie den steinernen Gast aus "Don Giovanni".
Jetzt, wo Horst Seehofer sich mit Söder den CSU-Einfluss teilen muss, haben Sie auch Herrn Seehofer darauf hingewiesen, dass schon ein mutiger Mann aus Ingolstadt, Arsacius Seehofer, ein früher Streiter des Protestantismus war und dafür ins Gefängnis ging.
Ja, auf der Beerdigung von Helmut Kohl bei der europäischen Feier habe ich ihn nach diesem Vorfahren gefragt. Er hat gesagt, dass er nach diesem Urahnen schon geforscht hat, aber noch nicht ganz fertig damit ist.
Wenn es also eine Kohabitation zwischen Seehofer und Söder geben wird: Kann das gut gehen?
Das ist schon mal gut gegangen: zwischen Alfons Goppel und Franz Josef Strauß.
Und das, obwohl auch die grundverschieden waren.
Aber sie haben sich ergänzt und vor allem: gegenseitig geachtet! Das ist die Voraussetzung dafür, dass es funktioniert. Ich selbst aber denke, dass es besser ist, wenn Parteivorsitz und das Amt des Ministerpräsidenten in einer Hand sind. Da werden weniger Spielchen getrieben. Politisch bin ich ein Freund des amerikanischen Vorwahlsystems. Wenn es richtig kontroverse Diskussionen gibt zwischen den Kandidaten. Und wenn dann alle Parteimitglieder fragen und wählen können, dann schafft das demokratische Kraft und Gemeinschaft.
Peter Gauweiler stellt "Evangelisch in Bayern" (Claudius Verlag, 144 S., 15 Euro) heute im Gespräch mit Franziska Augstein im Historischen Kolleg vor (Kaulbachstr. 15, 19 Uhr Eintritt frei)