Penélope Cruz ist überwältigend in "L'immensità"

Italien in den 70ern. Clara ist Mutter von drei Kindern in einer mondänen Neubauwohnung am Stadtrand Roms, wo gegenüber schon das Niemandsland beginnt. Es ist kein Ort der Geborgenheit, eher der Entwurzelung, der Einsamkeit, der Baustellen, die natürlich auch in die Zukunft weisen.
Die Ehe ist längst erkaltet, aber man wahrt noch Formen. Doch wenn der Vater und Ehemann (Vicenzo Amato) da ist, herrscht Beklemmung. Aber in seinem Doppelleben verschiebt er zunehmend die Gewichte weiter weg. Auch weil ihm Frau und die älteste Tochter Adriana fremd werden, weil sie nicht weiter dankbar sind und nicht einfach "funktionieren". So wird es schwerer, bella Figura zu machen - nach außen und gegenüber der ganzen Großfamilie. Die trifft man im Sommer an der Küste, wo die Männer über Sport, Autos und manchmal Politik reden, die Frauen über Familie und Kinder. Die wiederum erleben die große Freiheit der Ferien. Das alles ist in "L'immensità" klar und doch von Regisseur Emanuele Crialese wunderbar subtil, herzerweichend erzählt.
Clara merkt, dass sie nicht dazu passt, nicht nur, weil ihre eigene Familie in Spanien ist, was ihren vielleicht für Italiener hörbaren leichten Akzent erklärt. Vielmehr ist Clara eine "Fantastische Mutter" - wie der deutsche Untertitel des Filmes heißt. Sie ist eine selbst fragile Löwin, die ihre Kinder in Liebe und Geborgenheit sich entfalten lassen will. Und es ist das überragende Können von Penélope Cruz, dieser Frau dabei alle Facetten geben zu können: Schüchternheit und Stärke, Verzweiflung und Verspieltheit.
Auch wenn viele Deutsche Italien als Projektionsfläche für Sommer und Sonne, Ferien und Familienzusammenhalt nehmen, ist hier kein Raum für italien-romantische Nostalgie, in einer Zeit, in der Scheidung ein Skandal ist, eine Ehefrau keinerlei Absicherung hatte und so gefesselt ist, wenn sie ihre Kinder nicht verlieren will. Crialese zeigt eine katholische Klassengesellschaft, in der das Patriarchat gesetzlich gestützt ist. Dabei ist "L'immensità" weit mehr als ein Film über eine Ehehölle. Denn es gibt als weitere Hauptfigur die älteste Tochter Adriana (Luana Giuliani) gibt. Die Zwölfjährige will klar ein Junge sein, was unterdrückt, verdrängt, bestenfalls ignoriert wird - außer von der liebenden, solidarischen Mutter. "Ich mache mir keine Sorgen, um die Fantasien der Kinder", sagt sie in der großen Familienrunde, die mit latenter Nervosität auf Adri reagieren.
"L'immesità" ist ein Film über das Anderssein und Andersseinwollen. Clara hält das gegen den normativen Anpassungsdruck nervlich nicht durch. Aber sind die 70er, auch eine Zeit der großen TV-Musikshows mit androgynem Pop, einer modernen, lässigeren Italianità und Beginn einer gesellschaftlichen Befreiung.
Wenn man am Ende eines Filmes weint, so ist ein Film entweder sentimental im Kitsch versunken oder er hat einfach alles richtig gemacht. Regisseur Emanuele Crialese hat alles richtig gemacht.
Kino: ABC, City sowie
Arena, Maxim (auch OmU)
und Theatiner (OmU)
Emanuele Crialese (I, 97 Min.)