Paul Potts ist in die Badewanne gefallen
Da plätschert’s in den Ohren: „Passione“ heißt die zweite Platte des britischen Tenors Paul Potts. Möge es auch seine letzte sein!
Das Debütalbum „One Chance“ fand 3,5 Millionen Käufer. In 13 Ländern kam es auf Platz eins. Über 74 Millionen sahen seine Videos. Der Auftritt vor 60000 in der Allianz Arena beim Abschied Oliver Kahns schrieb nach Ansicht von Fans gar Fernsehgeschichte.
Natürlich irren die Massen nicht. Paul Potts lebte mit schiefem Gebiss den Traum vom Opernsänger. Der Mythos dessen, der seine Chance nutzte, wurde Fleisch. Er bezauberte 2007 Publikum samt Jury von „Britain’s Got Talent“ mit der Siegerhymne „Nessun dorma“ aus Puccinis „Turandot“, die durch Luciano Pavarottis Stadion-Auftritte der Popmusik einverleibt wurde.
An dieser Geschichte ist bemerkenswert, welch hohe Reputation die alte Tante Oper genießt. Auch deshalb schmücken sich Hersteller von Autos und technischen Gasen gern mit ihrem Flitterkram.
Anschläge auf Procul Harum, Donizetti und Lehár
Einer Illusion aber sollte sich keiner hingeben: Der 38-jährige Amateur Paul Potts wäre auch in der hintersten Provinz beim Vorsingen durchgefallen und hätte nie das Licht einer Profi-Opernbühne erblickt. Für die Gänsehaut sorgte nur das Drumherum, nie jedoch der armselige Badewannengesang.
Inzwischen hat sich Potts auf seine zweite Welttournee begeben, die ihn am 19. September in die Philharmonie am Gasteig führt. Naturgemäß wurde dazu eine neue Platte namens „Passione“ fällig. Sie watet in den sumpfigen Spuren des Schmusesängers Andrea Bocelli, dessen kleine Schuhgröße Potts jedoch nie erreicht. Und die Quadratlatschen von Plácido Domingo sowieso nicht: Wer den Macho-Gesang des Spaniers bei „Granada“ im Ohr hat, dem kann der kleine Mann aus Bristol nur leid tun.
So verschandelt Paul Potts ein Meisterwerk: Der Vergleich mit dem Original
Ob Potts „Una furtiva lacrima“ in Donizettis Original oder in einem Arrangement mit Elektrogitarre singt, ist wurscht. Entscheidend ist, dass ihm die Verzierung am Ende so scheußlich missrät, dass die Ohren schmerzen. Kaum fühlbar wird, wie sich in „E lucevan le stelle“ aus Puccinis „Tosca“ der Maler Cavaradossi in Todesangst an die Nächte mit der Geliebten erinnert. Für Potts ist es eine nette Melodie, der er jeden Ausdruck schuldig bleibt. Weil auch der große Domingo kein Deutsch kann, mag Nachsicht walten, wenn ein Amateur den Text von „Dein ist mein ganzes Herz“ verhunzt. Der Anschlag auf Franz Lehárs Noten ist so unverzeihlich wie Potts’ übrige Angriffe auf die Popkultur.
Leider ist die Platte frei von jeder Ironie
Warum verschandelt der Brite das von Briten geschaffene Meisterwerk „A Whiter Shade of Pale“ durch eine italienische Übersetzung? Die bescheidene, von Bach inspirierte Begleitung auf einer Hammondorgel wird zu einem bombastischen Klanggebirge mit gesampelten Streichern aufgeblasen.
An Tierquälerei grenzt der Umgang mit der vom Leben zerzausten Katze Grizabella aus Andrew Lloyd Webbers „Cats“. Zur Schnulze „Memory“ gehört eine milde Prise sentimentale Ironie. Die geht diesem vom ersten bis zum letzten Takt kitschig auftrumpfenden Album völlig ab.
Schon vor der ersten CD hat Potts seine Zähne und hoffentlich auch seinen Geldbeutel saniert. Nun reicht es aber wirklich.
Robert Braunmüller
Paul Potts „Passione“ ab 8. Mai bei Sony. Wegen der großen Nachfrage findet am 20. September in der Philharmonie um 20 Uhr ein zweites Konzert statt.