Parsifals Erlösung in Paris
Gleich zwei Wochen nach der Eröffnung gab es den ersten Skandal: 1913 wurde im Théâtre des Champs-Élysées Igor Strawinskys Ballettmusik „Le sacre du printemps” uraufgeführt. Heute dient das 2000 Besucher fassende Haus in Sichtweite des Eiffelturms überwiegend als Konzertsaal. Aber auch Barockopern im Originalklang werden dort gespielt.
Am Donnerstag gastierte die Bayerische Staatsoper in diesem Art-Déco-Tempel mit Wagners „Parsifal”. Die konzertante Form erlöst Wagners Bühnenweihfestspiel vom feierlichen Schreiten, der grotesken Sexualfeindschaft und anderen schlechten Hinterlassenschaften des 19. Jahrhunderts. Die ungemein farbige, oft die Wirkungen des französischen Impressionismus vorwegnehmende Musik bleibt übrig.
Wenn das Bayerische Staatsorchester auf der Bühne sitzt, treten die Vorzüge des besten deutschen Opernorchesters viel deutlicher hervor als im Graben des Nationaltheaters. Die Streicher und das Blech klingen rund und warm. Die Holzbläser leuchten. Es gibt keine orchestrale Kraftmeierei.
Klangfarbenzauber mit fließenden Tempi
Kent Nagano konzentrierte sich auf den Klangfarbenzauber der Musik und wählte fließende Tempi, die trotzdem natürlich wirkten. Der sehrende Schmerz der Musik und die Verdüsterung im letzten Akt wären vielleicht noch steigerbar. Dennoch: An glücklichen Abenden wie diesem ergänzen sich der Strukturwille und das Traditionsverständnis des Dirigenten perfekt. Schon nach der Gralsszene des ersten Akts wurden das Orchester und der vorzügliche Staatsopernchor (Einstudierung: Sören Eckhoff) heftig akklamiert. Das vorzügliche, auch in den kleinen Rollen wie den Blumenmädchen besser als in der Vor-Bachler-Ära besetzte Ensemble ist ebenfalls in den beiden Münchner „Parsifal”-Aufführungen am Palm- und Ostersonntag zu hören.
Einen souveräner zwischen Lyrik und Kraft ausbalancierten Amfortas wie Michael Volle dürfte es derzeit nicht geben. Im dritten Akt steigert er sich in eine düstere Verzweiflung hinein. Nikolai Schukoff ist ein eher lyrischer Parsifal, der die Kraftausbrüche ohne Erschöpfung durchhält. Leider enthält seine Stimme mehr Schmelz als Metall. Angela Denokes Stimme wirkt zwar etwas schwerer und verhärtet, aber sie ist eine eindringliche Gestalterin der Kundry.
Eine Frage des Prestiges
Jenseits grundsätzlicher Bedenken gegen den Zustand des heutigen Wagner-Gesangs dürfte es schon lange keine so gute Münchner „Parsifal”-Besetzung gegeben haben. Selbst der Koreaner Kwangchul Youn, der früher vor allem sein etwas ungeschliffenes Material vorzuführen pflegte, ist als Gestalter gewachsen. Seltsamerweise bleibt er immer dann merkwürdig diskret, wenn Wagner etwa im Karfreitagszauber Pathos, breite Linien verlangt.
Wer als mitreisender Beobachter erlebt, wie Orchester, Chor und Ensemble anderswo gefeiert werden, schätzt anschließend wieder mehr, was am Max-Joseph-Platz jeden Abend stattfindet. Nächstes Jahr wird die Staatsoper mit einer konzertanten „Walküre” nach Paris zurückkehren und wie diesmal einen kleinen Gewinn einspielen. „In Abu Dhabi wäre es allerdings mehr”, sagt Intendant Nikolaus Bachler, für den solche Gastspiele eine Frage des internationalen Prestiges und der Werbung sind.
Nicht ohne Hintergedanken lagen im Foyer auch überall Prospekte der Münchner Opernfestspiele aus. Im Unterschied zu anderen Theatern gibt Bachler für Reisen auch kein Geld von Sponsoren aus. Das soll ausschließlich den Inszenierungen in München zugute kommen. Vor allem aber steigern Gastspiele den Teamgeist aller Beteiligten, was wiederum die Münchner Operngänger in den nächsten Wochen merken werden. „Ein bisschen sind wir alle immer noch vom fahrenden Volk”, sagt Bachler. „Deswegen gehören solche Reisen einfach dazu.”
„Parsifal” am Sonntag im Nationaltheater ist ausverkauft. Für den 24. April gibt es noch Karten: Tel.21851920