Parodie und Leidenschaft

Pianistin Hélène Grimaud und die Wiener Philharmoniker unter Andris Nelsons
von  Volker Boser

Dass die berühmten Gäste von der Donau nicht ohne einen Dreivierteltakt davon kommen, war zu erwarten gewesen. Diesmal hatten sich die Wiener Philharmoniker Weltschmerz pur ausgesucht: Der „Valse triste” von Sibelius erklang im Schildkrötentempo, kuschelige Streicher – Episoden, geschmäcklerisch ausgebreitet, bis zur Parodie verzerrt.

Das hört man selten. Auch in Tschaikowskys sechster Symphonie nahm der lettische Dirigent Andris Nelsons den vom Komponisten einen Tag nach der Uraufführung autorisierten Untertitel „Pathétique” sehr wörtlich. Zerdehnte Pausen, willkürliche Akzente, dazu ein Repertoire an gestischen Kabinettstückchen, das an Leonard Bernstein in seinen besten Zeiten erinnerte.

Mag sein, dass die Zerrissenheit der Musik dadurch deutlich wie selten präsent war. Aber ein derartiger Exhibitionismus birgt eben leider auch die Gefahr, ernsthafte Gefühle lächerlich erscheinen zu lassen. Wenn, was selten genug geschah, einmal ein Orchestermusiker auf den Dirigenten blickte, dann geschah dies zumeist mit einem Lächeln.

Vor der Pause spielte Hélène Grimaud das zweite Klavierkonzert von Brahms in den ersten beiden Sätzen kraftvoll-energisch, danach empfindsam, im Schluss-Allegro heiter beschwingt. In dieser Dreiviertelstunde zeigte Andris Nelsons, warum so viele Orchester, darunter auch die Münchner Philharmoniker, ihn gerne verpflichten würden. Da war in jedem Takt zu spüren, wie selbst die verwöhnten Weltstars aus Wien sich der liebevollen Detail-Leidenschaft des Dirigenten unterordneten – weil sie einen Sinn ergab. Das Publikum im Gasteig bejubelte die französische Pianistin, hatte mit den Tschaikowsky-Exzessen dann aber doch einige Probleme.

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