Pappendeckel und Playback
Ein Spekulationsobjekt auf die Fernsehweihnacht: Der enttäuschende Kinofilm „La Bohème“ mit einer offenherzig dekolletierten Anna Netrebko
Der Winter steht vor der Tür. Da schaden gute Ratschläge nie: Immer warm anziehen, liebe Opernfreundinnen, sonst holt ihr euch eine Lungenentzündung und verblüht wie die schöne Mimì an Schwindsucht!
Taschentücher sollte aber ins Kino nur mitbringen, wer bereits erkältet ist. Tränen wird niemand vergießen, wenn die offenherzig dekolletierte Anna Netrebko im Kunstschnee am Liebesschmerz leidet. Live ergreift die Russin bekanntermaßen, aber hier ist alles Pappendeckel und Playback.
Jeden Anschein von Natur hat Regisseur Robert Dornhelm diesem fünf Millionen Euro teuren Spekulationsobjekt auf die Fernsehweihnacht und den 150. Geburtstag von Giacomo Puccini ausgetrieben. Deshalb wurde auch die farbige Amerikanerin Nicole Cabell als Musetta gebleicht und mit einer roten Schlampen-Perücke versehen.
Im Unterschied zum Wortlaut der Oper geht Mimì wie in vielen neueren Inszenierungen strategisch vor: Die Einsame vernimmt Lärm in der benachbarten Künstlermansarde und greift mit absichtlich gelöschter Kerze erotisch an. In der Liebesszene fürchtet der Regisseur, das Publikum könnte angesichts von so viel Oper wegzappen: Das Traumpaar Anna & Rolando wird verdoppelt, fliegt durch mondumglänzte Wolken.
Aus der Studiokünstlichkeit wurde keine Kunst, weil alles regietheaterfrei genau wie im Text ausschaut. Was bei „La Bohème“ nicht schadet, im Kino aber bieder wirkt. Irgendwann scheint auch das Geld ausgegangen zu sein: In der Massenszene vorm Café Momus bieten Stadttheater mehr Chor- und Statisten-Glanz.
Das Beste kennen die Fans bereits: Der Soundtrack entstand konzertant mit dem BR-Symphonieorchester unter Bertrand de Billy im April 2008 in der Münchner Philharmonie. Gut angelegt wurden auch die 2000 Euro, die Wiens Staatsoperndirektor Ioan Holender für jeden seiner drei Drehtage bekam: Den alten Gecken Alcindoro mimt er als formidablen Blödmann.
Es gibt ein paar Glücksfälle im Genre des Opernfilms. Die meisten sind aber wie dieser: Weder Theater noch Kino. Sondern etwas zwischendrin wie vegetarischer Leberkäs, Kunsthonig oder Zichorienkaffee.
Robert Braunmüller
Kino: Arri, Neues Arena, ab Samstag auch im Cinema, R: Robert Dornhelm B: Giuseppe Giacosa, Luigi Illica, K: Walter Kindler (D, 115 Min.)
Das Video von den Dreharbeiten
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