Onanist und Ödipus

Anzügliche Details auf über 1000 Seiten: Der Beatles-Experte Philip Norman legt ein neues Werk über den 1980 ermordeten Lohn Lennon vor. Dessen Witwe Yoko ist "not amused" über die ziegelsteinschwere Publikation.
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Anzügliche Details auf über 1000 Seiten: Der Beatles-Experte Philip Norman legt ein neues Werk über den 1980 ermordeten Lohn Lennon vor. Dessen Witwe Yoko ist "not amused" über die ziegelsteinschwere Publikation.

Der pubertierende John Lennon liegt auf dem Bett. Neben ihm seine schöne Mutter. Während er so daliegt, berührt er zufällig ihre Brust und fragt sich, ob er „nicht noch etwas anderes“ tun sollte. „Ich denke immer, ich hätte es tun sollen. Vermutlich hätte sie es mir erlaubt.“ Dass der Ex-Beatle nicht frei von sexuellen Irrungen und Wirrungen war, ist bekannt. Dass er aber ödipale Gedanken hegte und obendrein auch an seinem Beatle-Kollegen Paul McCartney Gefallen gefunden haben soll, ist neu.

Diese und mehr pikante Details bekommt der Leser geliefert, der sich die neue 1000 Seiten schwere Biografie über den ermordeten britischen Popstar vorgenommen hat. Dabei hat sich der bekannte Beatles-Biograf Philip Norman nicht nur darauf beschränkt, Hintergründe der Beatlemania zu erforschen. Er hat ein ausführliches - und wenig beschönigendes – Porträt über den legendären Musiker aus Liverpool geschrieben. Auch wenn die meisten Kritiker Norman beklatschten: Weniger begeistert sollen die Lennon-Witwe Yoko Ono und auch McCartney gewesen sein.

Norman lässt in seinem Wälzer keine anzüglichen Details aus. So wird die Tatsache, dass Lennon in frühen Jahren ein äußerst aktives Mitglied eines Onanistenclubs war, genauso beleuchtet, wie ein Sexakt auf einem Grabstein, bei dem sein „Hintern voller Blattläuse“ war. Auch bleibt dem Leser nicht vorenthalten, dass er es sich auf der Reeperbahn des öfteren von einer Barfrau besorgen ließ, und McCartney wegen eines angezündeten Kondoms auf der Davidwache in Hamburg landete.

Auch erscheint Lennon streckenweise eher wie ein schlagwütiger Trunkenbold denn als ein sensibles Musikgenie. „John musste nur einmal an der Schürze einer Barfrau riechen, um einen Schwips zu haben. Und wenn er betrunken war, wurde er zu einem hirnlosen Kamikaze, der jeden beleidigen und angreifen konnte.“ Als schlechter Familienvater kümmerte er sich zudem nicht um seinen ersten Sohn Julian und ließ auch seine erste Frau Cynthia im Regen stehen. Seinen zweiten Sohn Sean soll er so laut angeschrien haben, dass dieser einen Hörschaden erlitt.

Natürlich - eine schreckliche Kindheit!

Doch die Vorwürfe von Yoko Ono, Norman sei „böswillig gegenüber John“, scheinen nicht gerechtfertigt. Norman begründet Lennons Ausraster immer wieder mit dessen turbulenter Kindheit: Der Vater verschwunden, Mutter umgekommen, geliebter Onkel gestorben, geliebter Freund tot – Lennons Leben war von tragischen Schicksalschlägen gezeichnet. „Hierin lag die Wurzel seiner Wut... dass die Menschen, die er am meisten liebte, ihn immer verließen“, heißt es. Dass Lennon am Ende selbst vorzeitig gehen musste, schwebte ihm als düstere Vorahnung immer wieder vor.

Norman interviewte für das Mammut-Werk zahlreiche engste Vertraute Lennons, darunter auch seinen Sohn Sean und die Witwe Yoko Ono. Diese vertraute ihm auch an, dass sie immer vermutete, dass ihr Ehemann eine Affäre mit McCartney begonnen hätte, „was dann nur an dessen unerschütterlicher Heterosexualität scheiterte“.

Die Biografie ist nicht nur ein lesbarer Schmöker, sondern auch ein Freudenfest für Hobbypsychologen, auf der Suche nach den Motiven eines tief gespaltenen Menschen, der „innerlich ein Mönch und Zirkusfloh zur gleichen Zeit“ war. Nicht zuletzt spiegelten sich Lennons Drogensucht, seine rasende Eifersucht und seine Sehnsucht nach seiner Mutter in seinen Liedern wieder. Eine Liedzeile in Lennons berühmtem Song „Mother“ liest sich nach der Lektüre der Biografie sicher anders: „Mother/You had me/But I never had you“ - Deutsch: Mutter/Du hast mich besessen/Aber ich habe dich nie besessen.

Annette Reuther

Philip Norman: John Lennon – Die Biographie, Droemer Verlag, München, 1024 Seiten, 29,95 Euro

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