Olympisch pubertierend
Johann Wolfgang von Goethe im Gasteig: Im zweiten Teil der Reihe in der Black Box nähert sich der klassische Gegenwarts-Dichter Durs Grünbein dem „olympischen Humor“ des Dichterfürsten
Vor gut zwei Wochen räumte Rüdiger Safranski im Gasteig ab. Sein Vortrag über Johann Wolfgang von Goethe und sein Verhältnis zu den Deutschen war überfüllt, viele Interessierte mussten wieder nach Hause gehen. Am Donnerstag ist nun der etwas scheuere Lyriker und Essayist Durs Grünbein in München und fragt nach Johann Wolfgang von Goethe olympischem Humor.
AZ: Herr Grünbein, Johann Wolfgang von Goethe ist für uns doch eher ein erhabener Dichterfürst als ein lässiger Humorist?
DURS GRÜNBEIN: Die spätere Distanziertheit zum Betrieb des etablierten Geheimrats, das Abstandhalten, das war ja auch ein Schutz vor der zudringlichen Öffentlichkeit. Dahinter steckte aber keine Kühle, sondern ein „olympischer Humor“.
Also doch göttergleich und abgehoben?
Nein, es ist paradoxer: Johann Wolfgang von Goethe kann die Welt doch von einem hohen Balkon aus betrachten, aber auch mit großer Gerechtigkeit. Aber gleichzeitig war er Mensch und mittendrin auch im Allzu-Menschlichen. Und doch hat man ihn schon zu Lebzeiten als „deutschen Zeus“ gesehen, der wie vom Götterhimmel auf uns hinabsieht. Aber man muss das ja auch zugestehen: Einzelne Menschen haben eben einen Erkenntniszustand erreicht, der fast olympisch ist.
Sie sind ein Freund von Johann Wolfgang von Goethe sprachlicher Formvollendung und sagen: Vor allem „Johann Wolfgang von Goethe kann auch brutale Erkenntnis durch sprachliche Höchstform tröstlich machen“.
Ja, das gilt aber für Dichtung insgesamt. Die Gretchen-Tragödie im „Faust“ zum Beispiel ist ja ungemein hart – mit gesellschaftlichem Druck, Kindsmord und Selbstmord. Aber die sprachliche Höchstform, die Kunst, schafft dabei Erleichterung. In jedem Leben gibt es doch Erschütterungen. Nehmen sie Todesanzeigen in der Zeitung: Da steht oft ein Dichterwort am Anfang. Oder nach einer Katastrophe nehmen Politiker in ihren Reden Hilfe bei Dichtern, wenn sie Tröstendes sagen wollen. Früher war das meist noch die Bibel. Aber Johann Wolfgang von Goethe ist ein Mann der Übergangszeit, weg vom Barock, hin zu Sturm und Drang und Klassik. In dieser Zeit bildet sich die große Öffentlichkeit für das Dichterwort überhaupt erst heraus. Und der junge Johann Wolfgang von Goethe ist beteiligt an dieser Revolte, dass sich der Mensch vom religiös und standesgemäßen Eingebundensein emanzipiert. Und ab da sind es oft die Dichter, die den tröstenden Überbau stiften sollen. Da ist Johann Wolfgang von Goethe mit seinen universalen Betrachtungen ideal. Er hat kaum wie ein anderer wirklich alle Aspekte des Menschseins, alle Gefühle vor dem Leser ausgebreitet.
Woher nahm Johann Wolfgang von Goethe diese bis zum Tod ungebrochene lyrische Schaffenskraft?
Johann Wolfgang von Goethe ist ein Mann, der mehrere Pubertäten durchlebt bis ins Alter. Schiller hat ja eine Spieltheorie entwickelt, mit dem Menschen als ständigem Ausprobierer. Johann Wolfgang von Goethe hat das in seinem gelungenen Leben und vielen Lebensprojekten selbst am besten vorgeführt.
Dauerpubertät: Das klingt ja fast kindisch?
Das schloss bei Johann Wolfgang von Goethe ja ernsthafte Wissenschaftlichkeit und Studien nicht aus. Aber er behielt immer einen kindischen Sinn für unmittelbares Reimen und sich necken mit der Öffentlichkeit. Mir fällt da der Vierzeiler ein: „Was lassen sie denn übrig zuletzt, / Jene unbescheidnen Besen? / Behauptet doch Heute steif und fest, / Gestern sei nicht gewesen.“ Sowas zündet – wie Baudelaire sagt – wie eine Rakete. Das Verspielte hat sich Johann Wolfgang von Goethe bis ins Alter bewahrt, besonders privat, da ging’s nicht zu wie man es sich bei einem Geheimrat vorstellt. Johann Wolfgang von Goethe war auch trinkfreudig und eben spielerisch. Das Gegenteil von einem Selbstverwalter, das totale Gegenteil von spießig. Also wenn mal einer nicht spießig war, dann Johann Wolfgang von Goethe.
Sie selbst waren gerade ein Jahr in Rom in der Villa Massimo, einer deutschen Künstler-Stipendiaten-Villa. Hatten Sie Johann Wolfgang von Goethe „Italienische Reise“ dabei?
Ja, schon der großartigen Sprache wegen. Es ist ein außerordentlich lebendiges Tagebuch einer Reise: Johann Wolfgang von Goethe reflektiert seine eigene Entwicklung, beschäftigt sich mit Kulturgeschichte und betreibt wohlwollende Menschenstudien. In diesem Sinne fühle ich mich mit Johann Wolfgang von Goethe verwandt. Wenn das Schreiben bei einem zum Schicksal wird, dann ist man tiefenpsychologisch auch mit Vorgängern verbunden, man schreibt nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Vorangegangenen, die einem liegen. Man steht oft auch innerlich vor dieser Runde. Und da ist Johann Wolfgang von Goethe für mich dabei.
Adrian Prechtel
Donnerstag, 20 Uhr, Black Box, Gasteig: „Johann Wolfgang von Goethe olympischer Humor“: Durs Grünbein im Gespräch mit Manfred Osten, Karten: Tel.0180 / 54818181. Seine Rom-Erfahrungen hat Grünbein in „Aroma – ein römisches Zeichenbuch“ (Suhrkamp, 19.90 Euro) eine klassische Form gegeben.