Nur in München weltberühmt?
Die quälende Diskussion über Thielemann hat mit dessen Abgang nach Dresden ein Ende: Was aber wird nun aus den Münchner Philharmonikern? Eine Bestandsaufnahme in Stichpunkten
Katzenjammer
Thielemann hatte mit den Philharmonikern manches vor. Wenn er seinen Vertrag einhält, wird es noch die Strauss-Opern „Elektra“ und „Ariadne auf Naxos“ im Festspielhaus Baden-Baden geben. Dann ist vorerst Schluss: Den für das Wagner-Jahr 2013 dort geplanten „Ring des Nibelungen“ mit dem Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck kann sich das Orchester nun ebenso an den Hut stecken wie eine geplante USA-Tournee. Das wird nach Ende der Schockstarre noch ein böses Erwachen geben.
Keine Hoffnung
Das Staatsorchester teilt sich Kent Nagano mit Montreal, das BR-Symphonieorchester Mariss Jansons mit Amsterdam. Viele Thielemann-Fans hoffen insgeheim, er könne wie seine Kollegen neben der Dresdner Staatskapelle weiter die Philis leiten. Das ist eine Illusion: Der selbst- und betriebskritische Thielemann macht sich rar´. Er hat oft und nachdrücklich erklärt, mehrere Ämter nicht anzustreben.
Blamage
Der Thielemann-narrische Dieter Borchmeyer sammelte als Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste Unterschriften für den Verbleib des Dirigenten. Er ist nun blamiert. Thielemann hat ihn nur benutzt, um seinen Verhandlungen in Dresden den nötigen Nachdruck zu verleihen. Das ist nicht nett, war aber taktisch geschickt.
Nun wird gespart
Thielemanns Vertrag enthielt ein Rücktrittsrecht für den Fall von Stellenstreichungen. Ohne den Dirigenten hat es die Stadt viel leichter, ihrem Orchester ein Spar-Opfer abzuverlangen. Angesichts einbrechender Gewerbesteuereinnahmen in den nächsten Jahren ist das so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zukunft
Jede Krise ist zugleich eine Chance. Die Münchner Philharmoniker sind seit der Ära Celibidache auf starke Vaterfiguren fixiert. Auch Thielemann entspricht diesem Dirigententypus. Viele Musiker des Orchesters pflegen den verklärenden Blick. Sie schwärmen von der dunklen, erdigen und vibratoreichen Klangvorstellung, die beide Chefs gemeinsam haben. Tradition ist gut, aber die Philharmoniker drohen sich in ihr zu verlieren. Zu einem modernen Orchester gehören Wandlungsfähigkeit und der interessierte Blick aufs Neue.
Nachfolger
Thielemanns Vertrag läuft noch bis Ende der Saison 2011. In der Zeitrechnung eines Orchesters war dies schon vorvorgestern. Der normale Planungsvorlauf für das Engagement von Dirigenten und Solisten beträgt drei bis fünf Jahre. Bisher drängt sich kein Dirigent als Nachfolger auf. Daher ist nun nicht nur Feuer auf dem Dach der Philharmonie, sondern auch beim Kulturreferat.
Namen
Eine gute Figur machte zuletzt der Italiener Daniele Gatti, der nicht nur mit Verdi, sondern auch bei Mahler oder Alban Berg auf sich aufmerksam macht. Aber das Orchester soll ihn nicht mögen. Kyrill Petrenko, dessen starker Ausstrahlung selbst Mitglieder der Wiener Philharmoniker schwärmen, will sich nicht binden. Seine Stärken liegen eher bei der Oper. Ingo Metzmacher hört 2010 beim Berliner DSO auf. Er ist ein kommunikativer Dirigent neuen Typs mit aufregenden Programm-Ideen. Aber viele Orchester arbeiten nicht gern mit ihm.
Jung-Genie
Die vom Kulturreferenten Hans-Georg Küppers geäußerte Idee, ein junger Dirigent könne mit dem Orchester wachsen, wirkt nett, aber kaum realistisch. Außerdem wachsen diese Talente nicht auf den Bäumen. Sie wollen langfristig gehegt werden. Wer erlebt hat, wie einige Philharmoniker auf Proben bei dirigierenden Frauen herumfeixen, verliert da jede Hoffnung. Im schlimmsten Fall kommt als Nachfolger eine mittelmäßige Figur, unter dem weitergewurstelt wird, bis von der einstigen Reputation nicht mehr viel übrig ist,
Bruckner
Heute beginnen die Proben für das Konzert mit Bruckners Neunter unter Thielemann. Es wird spannend, wie das Publikum am Donnerstag im Konzert nach all dem Vorgefallenen auf das Orchester und den Generalmusikdirektor reagiert.
Robert Braunmüller