Nur ein humorvoller Rabauke?
In der Komödie im Bayerischen Hof trägt Michael Lerchenberg am Sonntag Ludwig Thomas „Heilige Nacht vor”. Und soeben ist seine Doppel-CD über Thoma erschienen.
AZ: Herr Lerchenberg, ist die Zeit von Ludwig Thoma als Autor nicht endgültig vorbei?
MICHAEL LERCHENBERG: Bis in meine Jugendzeit hinein war Thoma an den Kammerspielen, beim Staatsschauspiel und im Volkstheater fest im Spielplan. Und die „Lausbubengeschichten” werden im Fernsehen auch heute noch öfter wiederholt. Aber es stimmt: Dass im Frühjahr am Volkstheater „Magdalena” inszeniert wird, ist eher eine Ausnahme.
Liegt das auch daran, dass er aus heutiger Sicht ein „schwieriger Bayer” war, wie Ihre CD heißt?
Erst Ende der 80er hat man den politisch unappetitlichen, polemischen Thoma wahrgenommen. Zuvor wurde das in deutschnationalen Zeiten und dann in den Verdrängungs-50ern einfach verschwiegen. Als ich als junger Schauspieler mit Thoma begonnen habe, kannten wir diesen Aspekt nicht.
Meinen Sie den Antisemiten?
Nein, das ist weiter gefasst. Thoma wurde während des Ersten Weltkriegs zum verbitterten, rechtsradikalen Volksverhetzer, bevor er 1921 an einem Magengeschwür starb.
Aber selbst seine große Liebe, Maidi Liebermann, selbst Jüdin, war noch bis weit nach Thomas Tod loyal.
Ja, diese Frau hat er geliebt, sie hat ihn 50 Jahre überlebt und auch diese ekelhafte Spätphase verschwiegen. Aber es gab bei Thoma eine radikale politische Wende vom linksliberalen Autor des „Simplicissimus”, der gegen den kaiserlich-wilhelminischen Größenwahn, Spießbürgertum, Polizeiwillkür und Unterdrückung der Pressefreiheit kämpfte, vom Vertreter der freien Liebe zum reaktionären Juden- und Räterepublik-Hasser. Man ist fassungslos, wie hoch aggressiv und militant die politische Diskussion damals war, da war er natürlich kein Einzelfall, sondern das war Zeitgeist.
Gab es private Gründe für die Wende?
Als eine Ursache für den späten Grimm wird von manchen die unerfüllte Liebe zu Maidi Liebermann gesehen, deren Mann sie nie freigab, so dass man sich nur besuchte und er ihr 850 Briefe schrieb. Aber das rechtfertigt nicht diese polemische Unmenschlichkeit und undemokratische Haltung. Das ist gespenstisch. Ein Grund ist die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, wobei er zuvor noch die Kriegstreiber gegeißelt hatte. Dann aber schreibt er ein Gedicht „Volk zu den Waffen” und glaubt an einen bewaffneten Spaziergang nach Paris, was dann schnell ins Grauen der Materialschlacht und des Stellungskriegs mündet. Das alles hat auch bei Thoma eine Veränderung ausgelöst. Nach vier Jahren endet der „Hurra”-Traum in einer Depression. Damit wurde er – wie viele – nicht fertig. Da ist Thoma ein Beispiel, wie Leute politisch völlig aus dem Tritt geraten.
Was bleibt?
Der große Satire- und Komödien-Dichter bis 1914. Danach entsteht fast noch der große tragische Bauernroman „Der Ruepp” – und die „Heilige Nacht”, dieses große poetische bairische Gedicht. Das sind ernste Werke. Den humorvollen Rabauken, den gibt’s da nicht mehr.
Dennoch heben Sie auch den lesenswerten Thoma hervor.
Ja, denn Thoma bleibt uns erhalten als genialer Schriftsteller, Beobachter und Menschendarsteller. Auch die „Heilige Nacht” bleibt eines der größten Texte, die die bairische Literatur hat.
„Ludwig Thoma – ein schwieriger Bayer”. Ein Porträt von und mit Michael Lerchenberg, Musik: Eberwein (Doppel-CD, LangenMüller Hörbuch)