Nobel geht die Welt zu Grunde

Für immer Dandy: Am Sonntag feiert der bestangezogenste Rocksänger Bryan Ferry seinen 65. Geburtstag. Sein neues Album "Olympia" erscheint am 22. Oktober
von  Abendzeitung

Für immer Dandy: Am Sonntag feiert der bestangezogenste Rocksänger Bryan Ferry seinen 65. Geburtstag. Sein neues Album "Olympia" erscheint am 22. Oktober

Er wird sein Jacket ablegen. Er wird die Fliege öffnen. Das Hemd aufknöpfen. Die Ärmel aufrollen. Am Ende des Konzertes wird ihm vielleicht sogar das Hemd aus der Hose hängen. Im Outfit eines Gentlemans tritt Bryan Ferry seinem Publikum entgegen – um die Bühne durchgefeiert und nass von Schweiß zu verlassen. Am Sonntag wird der wohl bestangezogenste Rocksänger der Gegenwart 65. Man mag über Paillettensakkos streiten, aber Ferrys Auftritt haben eine anziehende Fallhöhe. Hinter der Dandy-Fassade schlägt ein Herz, und das kann brechen.

Am 22. Oktober erscheint sein neues Album: „Olympia“. Auf dem Werbefotografie-Cover liegt Kate Moss in Seide, um den Hals ein Collier. Das weist zurück zu den frühen Roxy-Music-Covers. Vom ersten Album 1972 an war es die Oberflächlichkeit der Models, die inszeniert wurde – eine Revolution gegen die Fuck-you-Haltung des Punk. Wie der Punk hat man sich bis heute gehalten. Seit 2001 ist die Band wiedervereinigt.

Die Kunsthochschule als Ausgangsbasis für Pop-Musiker

Roxy Musics Debüt fiel zusammen mit Bowies „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust“ – und für eine Weile schien die Band mit Brian Eno und seinem crosssexuellen Federboa-Weltraum-Chic im Glam-Rock mitzuschwingen. Nach den Aufnahmen des gewaltigen „For Your Pleasure“ verließ Eno die Gruppe. Mit dem Wegfall der Synthesizer-Avantgarde verwandelten sich Roxy Music in eine Gruppe, deren ästhetisches Ziel der Laufsteg war. Und Bryan Ferry war in der Lage, über Ästhetik zu reflektieren. An der Universität in Newcastle hatte er kurze Zeit Bildende Kunst studiert, auch bei Richard Hamilton. Die Kunsthochschule war in den britischen 60ern und 70ern eine gerngenutzte Ausgangsbasis für Pop-Musiker.

Die Form wurde bei Roxy Music zum Inhalt: Das war radikal – und manchmal dumm. Was sich auf der Country-Life-Tour 1974 zeigte. Reithosen, Stiefel, Seitenscheitel: „Die Nazis hatten ein gutes Gespür für optische Außenwirkung“, verkündete Ferry und zeigte damit klar die Grenzen der puren Ästhetik.

Bryan liebte den schwarzen Sound

Auf „Siren“ sah man 1975 Jerry Hall als blaue Nixe. Die wurde daraufhin auch eine große Liebe Ferrys und ihm 1977 von Mick Jagger ausgespannt. „The Bride Stripped Bare“ war die musikalische Verarbeitung auf Ferrys folgendem Solo-Album. Unter der Oberfläche war Leid.

Trotzdem ist die oberste Gesellschaftsschicht Bryan Ferrys Traumraum. Die High Society war für ihn kein Geburtsadel: Er kam aus der Arbeiterklasse des englischen Washington. Eine Nachbarin kolportiert die Geschichte, dass die Ferrys mit Messer, Gabel und Serviette ihr Abendbrot zu sich nahmen. Und Ferry selber erinnert sich, wie man vor der Fernseher saß und still seinen Tee trank. Bryan liebte den schwarzen Sound. Pop nämlich, das ist eine Wunder-Garderobe, in der man sich neu einkleiden kann.

Christian Jooß

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