Nixons dreckiger Sieg
Regisseure scheiterten, das Publikum musste erst vorbereitet werden, dann drohte ein Studio-Krieg: Doch jetzt ist Zack Snyders „Watchmen“ im Kino
Für Comic-Nerds ein jahrelang erwarteter Festtag: Weltweit startet „Watchmen“. Wer mit diesem Titel wenig anfangen kann, muss sich nicht schämen. In Deutschland hat die Graphic Novel nie den Stellenwert erreicht wie in den USA. Aber dort wird die Superheldengeschichte für Erwachsene vom „Time Magazine“ sogar als einziger Comic unter den 100 bedeutendsten Romanen des 20. Jahrhunderts geführt.
Bis 1987 kreierte der Brite Alan Moore („V wie Vendetta“) mit dem Zeichner Dave Gibbons einen zwölfbändigen Comic-Zyklus, der Batman, Superman & Co. einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpasste. In einem apokalyptischen Endzeit-Paralleluniversum voller Sex und Gewalt gingen die beiden Visionäre der Frage nach, wie sich das Rad der Zeit mit Superhelden weitergedreht hätte. Sie entwickelten eine zynische Geschichtsrevision. Denn die „Watchmen“ sind treue Staatsdiener und unterstützen die US-Regierung auch bei schmutzigen Missionen wie im Vietnamkrieg.
Mit äußerster Brutalität sorgen sie für einen „triumphalen“ Sieg. Und auch an der Heimatfront zeigen die maskierten Superhelden, die bis auf den übermächtigen Dr. Manhatten ohne Superkräfte auskommen, wenig Bewundernswertes. Sie knüppeln im Regierungsauftrag Studentendemos nieder und garantieren mit polizeistaatlichen Methoden Richard Nixon die dritte Amtszeit – das Wahlrecht hat „Tricky Dick“ mal so eben geändert. Doch zum Lachen ist dem aufgeschwemmten Republikaner mit Pinocchio-Lügennase nicht mehr. Ein vernichtender Atomkrieg mit dem Erzfeind Sowjetunion steht unmittelbar bevor. Da helfen dann auch die längst ausrangierten Superhelden nicht mehr weiter.
Streit der Regisseure und Studios
Namhafte Regisseure wie Terry Gilliam, Paul Greengrass („Die Bourne Identität“) oder Darren Aronofsky („The Wrestler“) versuchten sich jahrelang an einer Filmadaption des zynisch-pervertierten Comic-Strips. Doch erst, als düstere Charakterstudien voller gebrochener Figuren wie „Sin City“ (2005) oder „The Dark Knight“ (2008) Erfolge feierten, war der Weg frei für „Watchmen“.
Nur eine Hürde galt es noch zu überspringen: Mit dem Wissen um einen scheinbar sicheren Kinohit kamen sich die großen Studios Warner und Fox in die Quere: Beide pochten auf den Besitz der Comicrechte. Aber der 120 Millionen Dollar teure Film war bereits vor der Klärung der Rechtslage abgedreht. Es drohte der Film-Gau, ein weltweiter Filmstopp. Dann arrngierte man sich mit der Fox und beteiligt sie jetzt an den Filmeinnahmen. Ob Zach Snyder, der mit seinem martialischen Comic-Spektakel „300“ seine Genre-Tauglichkeit bewiesen hatte, mit seiner penibel auf Werktreue getrimmten Verfilmung für volle Kassen sorgen kann?
Die Vorlage sollte man kennen
Sein Filmeinstieg mit Bob Dylans „The Times, They’re a Changing“ gelingt vortrefflich. Verdeutlicht er doch die dramatischen Veränderungen, denen die Watchmen im fiktiven New York des Jahres 1985 ausgesetzt sind. Einer ihrer Mitglieder, der zynische Brutalo „The Comedian“ (Jeffrey Dean Morgan) wurde ermordet. Straßenflüsterer Rorschach (mit diabolischem Charme: Jackie Earle Haley) will den Fall mit aller Gewalt aufklären. Doch der blaue Adonis Manhatten (Billy Crudup) tummelt sich nach einer Sinnkrise auf dem Mars herum, und auch Tüftler Nite Owl (Patrick Wilson), Milliardär Ozymandias (Matthew Goode) und die attraktive Silk Spectre (Malin Akerman) genießen lieber den Ruhestand. Erst als ein Kollege im Gefängnis landet, sehen sich die verbliebenen Watchmen zum Handeln gezwungen.
Snyder stellt mit seiner vorlagentreuen Adaption Nicht-Kenner vor Probleme. Nicht nur, dass das komplexe und erst im Schlussdrittel spannende Spektakel fast drei Stunden dauert und vor Rückblenden und Zeitsprüngen nur so überquillt. Auch die Brutalität und die bösartige, inhumane Weltsicht sind nicht jedermanns Geschmack. Trotz brillant inszenierter Zeitlupen-Kämpfe, einem glänzenden Best-of-Pop-Soundtrack und Filmanspielungen, wie die an „Dr. Seltsam“, bleibt der Film irgendwo in seiner kranken und mit schwer erträglichem Pathos aufgeladenen Comicwelt gefangen – ohne eine Begründung dafür zu liefern, warum man die 80er-Jahre-Zeitgeist-Graphic-Novel heute noch auf die große Leinwand bringen musste.
Florian Koch
Kino: Atelier, Mathäser, MaxX, Münchner Freiheit, Cinema in OV, R: Zach Snyder (USA, 162 Min.)
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