„Nie wieder“ reicht nicht
Die Gründungsdirektorin Irmtrud Wojak des künftigen Münchner NS-Dokumentations-zentrums hat ein großes Werk über den Nazi-Jäger Fritz Bauer geschrieben
Fritz Bauer, der von 1903 bis 1968 lebte, war einer der wichtigsten Juristen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Als Generalstaatsanwalt in Hessen sorgte der dafür, dass ehemalige Größen des NS-Regimes vor Gericht gestellt wurden. Nun endlich gibt es eine große Biografie über den Nazi-Jäger – verfasst von der Gründungsdirektorin des künftigen Münchner NS-Dokumentationszentrums, Irmtrud Wojak.
AZ: Frau Wojak, vor kurzem wurde der mutmaßliche Kriegsverbrecher John Demjanjuk aus den USA nach München gebracht, damit er hier vor Gericht gestellt werden kann. Hätte Fritz Bauer sich auf eine Diskussion über Gnade für kranke alte Männer eingelassen?
IRMTRUD WOJAK: Das glaube ich kaum, denn hier gibt es eine offizielle Abschiebung seitens der USA und einen Haftbefehl wegen Verdachts auf Beihilfe zum Mord von deutscher Seite. Da spielt das Alter keine Rolle.
Können sich die heutigen Ermittler und Richter im Fall Demjanjuk als Söhne Fritz Bauers begreifen?
Ich finde es gut, wenn sich Richter oder Staatsanwälte auf das Erbe Fritz Bauers berufen, weil es nach Aufklärung ruft und nicht nach Rache. Aber man sollte auch das nicht emotionalisieren. Die Beschuldigung gegen Demjanjuk ist, auch wenn man mit dieser in die Fußstapfen Fritz Bauers tritt, ganz einfach die Umsetzung des Rechtsstaates.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Fritz Bauer die schnelle Integration der NS-Parteigenossen in die deutsche Nachkriegsgesellschaft als schwere Hypothek für das Land empfand und dass ihm diese Haltung zum Teil bis heute angekreidet werde. Woran machen Sie das fest?
Zunächst einmal an der Kritik, die es auch heute noch an seiner skeptischeren Sicht auf die Nachkriegsgeschichte gibt. Seine Meinung war, dass die reibungslose Integration von NS-Tätern nach dem Krieg eine Belastung für die Gesellschaft war. Die Gegensicht lautet: 1945/49 begann die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik – ohne Einschränkung.
Die Deutschen haben Bauer absichtsvoll vergessen. War er aus Ihrer Sicht ein Held?
Mit dem Begriff Held bin ich vorsichtiger. Er verspürte wohl, auch aufgrund seiner eigenen Biografie, eine große Herausforderung. Dieser wollte er sich stellen, indem er nach Deutschland zurückkehrte und es sich zur Lebensaufgabe machte, sowohl in den Reihen der eigenen Zunft die Verbrechen des NS-Regimes aufzuarbeiten als auch darüber hinaus aufklärerisch zu wirken.
Was kann gerade die jüngere Generation heute noch von Fritz Bauer lernen?
Dass es erforderlich ist, sich für die Zukunft mit der Vergangenheit auseinander zu setzen. Und dass es nicht reicht, bloß „Nie wieder“ zu sagen. Sondern dass sich jeder damit beschäftigen sollte, wie er zum Thema Zivilcourage steht. Fritz Bauer hat eine Verbindung gesehen zwischen den NS-Verbrechen und dem Widerstandsrecht.
Sie schreiben, er sah die Pflicht zum passiven Widerstand, aber nicht unbedingt eine Pflicht zum aktiven Widerstand.
Ja, das ist wohl der wichtigste Punkt. Er fand, man könne die Menschen nicht dazu „verpflichten“, über sich selbst hinauszuwachsen und zum Märtyrer zu werden. Sondern er hat sich die im Grunde aus allen Religionen bekannte goldene Regel zur Richtschnur gemacht: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!
Es gibt einige Bezüge Bauers zu München, er lebte als Student ab 1922 in Schwabing. Er schreibt zum Beispiel: „Ich sah die Radauaufzüge der Nationalsozialisten.“ Wie war sein Verhältnis zu München?
Das war sicher geprägt vom Aufkommen der NSDAP und dem radikalen Antisemitismus, den er hier erstmals politisch erlebte.
Kurz vor seinem Tod bekam Bauer, dem große Auszeichnungen zeitlebens versagt geblieben waren, von der Stadt die Ludwig-Thoma-Medaille. Erstaunlich, oder?
Schon, das hing sicher mit dem damaligen Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel zusammen, der sich für ihn einsetzte. Aber man muss sich heute andererseits noch etwas wundern: Ausgerechnet die Ludwig-Thoma-Medaille! Da kann man schon drüber diskutieren, ob dies seinem Thema gerecht wurde.
Dramatisch war die Jagd auf den SS-Schergen Adolf Eichmann. Bauer gab den Hinweis auf sein Versteck an Israel weiter, offenbar ganz bewusst, weil er der deutschen Justiz misstraute. Woher kam dieses tiefe Misstrauen?
Aus dem Erleben der Schwierigkeiten in der Nachkriegsjustiz bei der justitiellen Ahndung der NS-Verbrechen. Er sah die personellen Kontinuitäten seit der NS-Zeit. Das hat ihn misstrauisch werden lassen. Für den Auschwitz-Prozess hat er deshalb extra jüngere Staatsanwälte eingestellt.
Ungeklärt ist Bauers Tod. Wie ist Ihre Theorie? Hat er sich selbst umgebracht?
Das kann niemand mit 100-prozentiger Gewissheit beantworten, ich habe keine Anzeichen dafür gefunden.
Wie ist der aktuelle Stand bei den Planungen für das Münchner NS-Dokumentationszentrum?
Momentan beschäftigen uns zwei Dinge: Wir erarbeiten das Betriebskonzept für das Haus gemeinsam mit dem Baureferat. Und wir steigen intensiv ein in die Recherchen für die Dauerausstellung und die Themenschwerpunkte. Gerade wurde ein interaktiver Stadtplan vorgestellt, der die historischen Orte zeigt, die mit der NS-Zeit und dem damaligen Terror-Regime verbunden sind.
Das NS-Zentrum soll vor allem junge Menschen über die NS-Zeit informieren. Wie würden Sie einer Schulklasse in zwei Sätzen erklären, wer Fritz Bauer war?
Er war ein deutscher Jude, Sozialdemokrat und bedeutender Justizreformer in der Zeit nach 1945/49. Seine Hauptaufgabe sah er in der Aufklärung der NS-Verbrechen und der Verankerung des Widerstandsrechts im Bewusstsein der Deutschen.
Michael Grill
Wojak: „Fritz Bauer – 1903 - 1968“ (C. H. Beck, 34 Euro)
- Themen:
- Hans-Jochen Vogel