Nida-Rümelin beim roten Sofa der AZ: "Cancel Culture ist der Normalfall"

Der Münchner Philosoph Julian Nida-Rümelin war zu Gast auf dem roten Sofa der AZ. Er sprach mit AZ-Redakteur Adrian Prechtel über die Themen, die zuverlässig die Gemüter zu erhitzen wissen: "Cancel Culture" und "Political Correctness".
von  Mathias Hejny
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin am roten Sofa der AZ, zur Verfügung gestellt von Möbel Höffner, im Barocksaal des Deutschen Theaters.
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin am roten Sofa der AZ, zur Verfügung gestellt von Möbel Höffner, im Barocksaal des Deutschen Theaters. © Bernd Wackerbauer

München - Der Münchner gilt als eine der schillerndsten und meistzitierten Persönlichkeiten aus der deutschsprachigen Philosophie-Landschaft, der sich darüber hinaus auch immer wieder politisch eingemischt hat. Er war Kulturreferent der Landeshauptstadt, Kulturstaatsminister der rot-grünen Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder oder lehrte an der LMU Philosophie und politische Theorie.

Jetzt gehört Julian Nida-Rümelin zur Leitung der noch jungen Humanistischen Hochschule in Berlin.

AZ-Redakteur Adrian Prechtel im Gespräch auf dem roten Sofa der AZ mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin im Barocksaal des Deutschen Theaters.
AZ-Redakteur Adrian Prechtel im Gespräch auf dem roten Sofa der AZ mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin im Barocksaal des Deutschen Theaters. © Bernd Wackerbauer

Nida-Rümelin auf dem roten Sofa der AZ: "Cancel Culture ist der Normalfall"

Zur zweiten Veranstaltung der zum 75-jährigen Bestehen der Abendzeitung installierten Reihe "Das rote Sofa" im Barocksaal des Deutschen Theaters hatte AZ-Kulturredakteur Adrian Prechtel den 68-Jährigen zur münchnerisch formulierten Frage "Wie viel Political Correctness brauchts?" eingeladen. Prechtels kurze Einführung über das, was man zu Zeiten von politischer Korrektheit und der sogenannten „Cancel Culture" überhaupt noch sagen dürfe, kommentierte Nida-Rümelin zunächst mit "Sie haben den Fehler gemacht, einen Philosophen einzuladen".

Aus seiner Sicht dürften die beiden Begriffe nicht vermischt werden. "Cancel Culture ist der Normalfall", erklärt er. Schon in der Antike wurden Inhalte entfernt, die nicht zur herrschenden Meinung passten. Selbst in der Bibliothek in Alexandria, der größten Bibliothek der antiken Welt, seien 99 Prozent der Bestände von christlichen Ideologen vernichtet worden. Auch Immanuel Kant, der sich vor den Krankheiten, die man sich außerhalb seiner Heimatstadt holen könnte, so fürchtete, dass er Königsberg nie verließ, war mutig genug, um verboten zu werden. Das seien natürlich "keine Vorbilder, sondern abschreckend".

Der Philosoph Julian Nida-Rümelin am roten Sofa der AZ im Barocksaal des Deutschen Theaters.
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin am roten Sofa der AZ im Barocksaal des Deutschen Theaters. © Bernd Wackerbauer

Die Political Correctness hingegen sei zunächst ein akademisches Phänomen gewesen. Was den Sprachgebrauch angehe, sei Vieles "im Fluss", und beim Gendern würden sich neue, einfachere Formen entwickeln, denn "die Sprache ist sparsam". Weniger entspannt sieht Nida-Rümelin Ereignisse wie das im vergangenen Sommer an der Berliner Humboldt-Universität, als ein das Gendern kritisch untersuchender Vortrag gestrichen wurde: Das sei ein Opportunismus einer Hochschulleitung, der "die Axt an die Demokratie legt".

Nida-Rümelin: "Auf Zigeunerschnitzel könnte man gut verzichten"

Weitere Themen des Podiumsgesprächs waren etwa auch das "Zigeunerschnitzel" oder der "Mohrenkopf". Das seien Worte, auf die man gut verzichten könnte, doch entscheidend sei, dass sich die Betroffenen auch diskriminiert fühlen. Andere Zuschreibungen wie "Jude" oder "schwul" waren als Beleidigungen missbraucht, würden aber heute von Menschen jüdischen Glaubens beziehungswiese homosexuellen Personen selbstbewusst auf sich selbst angewendet. Die aktuell in Hamburg geführte Debatte um ein Bismarck-Monument führte auch zu der Frage, wie man in München mit den Nazi-Bauten umgehen solle.

Nida-Rümelin lehnte es ab, die "Vergangenheit abzuräumen". Die Hochschule für Musik und Theater im ehemaligen "Führerbau" oder die Feldherrnhalle, die sowohl mit dem bayerischen Militarismus als auch dem Hitler-Putsch von 1923 ebenso unauflöslich verbunden sei wie mit der ganzen Identität der Stadt, hätten als Orte der Kultur eine neue Bedeutung erhalten.

Kritisch sieht er auch die in Hollywood geübte Praxis, Szenen mit Schauspielern wie Kevin Spacey, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, aus den Filmen herauszuschneiden: "Wenn man so an Kunstgeschichte herangeht, wird wenig Kunst bleiben".


Restkarten für "Das rote Sofa" an der Abendkasse erhältlich

Der Online-Verkauf für die Gesprächsabende ist beendet. Für folgende Veranstaltungen gibt es noch wenige Restkarten an der Abendkasse (14 Euro; nur Bar-Zahlung möglich):

Die Abendkasse öffnet 30 Minuten vor Einlass.

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