Die Wiener Philharmoniker im Herkulessaal
Ihren berühmt-berüchtigten Widerstand, weibliche Mitglieder in ihre Reihen aufzunehmen, haben die Wiener Philharmoniker 1997 aufgegeben. Ein anderes, gesellschaftpolitisch nicht so prekäres Unterscheidungsmerkmal haben sie hingegen beibehalten, nämlich, eigene, spezifisch Wiener Instrumententypen zu verwenden. Wie unglaublich zart der Oboen-Solist in der Symphonie Nr. 9 von Antonín Dvorák "Aus der Neuen Welt" einsetzt, ist damit aber noch nicht erklärt. Da ist schon ein absoluter Meister seines Faches am Werk.
Überhaupt lassen die Wiener an diesem Nachmittag im Herkulessaal eine unnachahmliche Pianissimo-Kultur hören. Die supersoften, dabei diskret durchsetzungsfähigen Bläser betten sich auf einen filigranen Streicherklang, der sich wie himmlisches Manna ins Ohr schmeichelt, räumlich zusätzlich aufgefächert durch die Rückkehr zur älteren, sogenannten deutschen Orchesteraufstellung mit einander gegenübersitzenden ersten und zweiten Violinen. Wenn man so will, ist das fast noch eine Neuerung, denn auch die traditionsbewussten Wiener Philharmoniker haben lange in der amerikanischen Positionierung gespielt, in der alle Violinen eine einzige Gruppe bilden.
Im Gegensatz seinem Dirigentenkollegen Andris Nelsons, der bei seinem durch die Corona-Pandemie seinerzeit tragisch abgebrochenen Beethoven-Zyklus stetig auf der Suche nach einzelnen Klangwundern war, setzt Daniel Harding in Dvoráks letzter Symphonie ungleich stärker auf klassizistische Geschlossenheit, ja Strenge des Musizierens. Guterweise achtet er auf das Aushalten von Tönen, zieht lange, tragfähige Linien, treibt die Entwicklungen konsequent voran und auf klare Satzhöhepunkte zu.
Besonders reichen Ertrag zeitigt Hardings Hang zur Geradlinigkeit in den überbordenden Wucherungen des Violinkonzerts von Edward Elgar. Er verliert sich nicht im permanenten Stauen und Beschleunigen, sondern hält einen spürbaren rhythmischen Grundpuls. Und er ist sich mit den Wiener Philharmonikern darin einig, dass es bei diesem Werk auf besonders betonte Präzision ankommt: Die schweren Blechbläser - nicht nur die herrlich obertonreichen Wiener Hörner! - artikulieren scharf, kurz angebunden, sodass der Solist Frank Peter Zimmermann selbst dann mühelos durchkommt, wenn der Komponist ihn mit massiven Tutti konfrontiert.
Wer Zimmermanns typische violinistische Zurückhaltung im Ohr hat, wird überrascht sein, wie unüblich zeigefreudig er hier mit vollblütigen Portamenti und saftigen Schleifern aus sich herausgeht. Bei Elgar bezieht er unmissverständlich Stellung: Diese Musik ist keine Privatsache.
Zum Auftakt der Jubiläumssaison der Konzertdirektion Münchenmusik, die in diesem Jahr 40. Geburtstag feiert, haben die Wiener Philharmoniker noch eine Zugabe mitgebracht. Die "Electro-magnetische Polka" op. 110 von Johann Strauss Sohn verbreitet einen Hauch von Neujahrskonzert, auch, wenn hier kein globales Publikum von 50 Millionen medial zugeschaltet ist. Die Glückwünsche wirken dennoch nicht weniger herzlich. Eher noch feinsinniger.
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