Neugierig, uneitel und ohne Allüren
Nationaltheater: Das erste Akademiekonzert des Staatsorchesters unter Kent Nagano
München war an allem schuld: Bruckner bot seine Achte Symphonie zuerst Hofkapellmeister Hermann Levi an. Doch der winkte ab, was den Komponisten so schreckte, dass er sich spontan zu einer Überarbeitung entschloss. Im ersten Akademiekonzert präsentierte Kent Nagano mit dem Staatsorchester die damals abgelehnte Erstfassung. Verglichen mit dem, was wir kennen, gibt es vor allem Unterschiede in der Instrumentierung. Außerdem änderte Bruckner den Schluss des ersten Satzes und den Anfang des Trios im Scherzo. Die großflächige Struktur blieb unangetastet. Kent Nagano benötigte nahezu neunzig Minuten.
Was auch daran lag, dass er nicht nur gemäßigte Tempi bevorzugte, sondern zusätzlich innerhalb der einzelnen Sätze den vorgegebenen Pausen großes Gewicht gab. Die trockene Akustik im Nationaltheater brachte es mit sich, dass der Klang schroff blieb. Doch für Pathos und Andachtsstimmung hat Kent Nagano ohnehin nichts übrig. Dennoch stellte sich immer wieder eine geradezu mystische Ruhe ein. Das Staatsorchester bewies in den ersten drei Sätzen bewunderungswürdiges Stehvermögen. Im Finale waren Ermüdungserscheinungen allerdings unüberhörbar.
Als Kontrastprogramm wählte der Dirigent das bereits vor ein paar Tagen beim BR musizierte dritte Klavierkonzert von Béla Bartók. Der 65-jährige Richard Goode zeigte, dass es hier mehr zu entdecken gibt als lediglich metallisch gemeißelte Etüden-Akrobatik. Hinreißend, wie er den Dialog zwischen Flügel und Orchester immer wieder befeuerte. Danach setzte er sich in die achte Reihe und hörte Bruckner zu – neugierig, uneitel und ganz ohne Allüren.
Volker Boser