Neugierig auf das Sperrige

Seit 30 Jahren lebt die gebürtige Hamburgerin in München. Hier hat sie eine der wichtigsten Sammlungen moderner Kunst aufgebaut, nun geht sie mit Videokunst ins Haus der Kunst
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Seit 30 Jahren lebt die gebürtige Hamburgerin in München. Hier hat sie eine der wichtigsten Sammlungen moderner Kunst aufgebaut, nun geht sie mit Videokunst ins Haus der Kunst

Wer’s nicht weiß, geht dran vorbei. Weit draußen, an der Oberföhringer Straße 103 in Bogenhausen, hat Ingvild Goetz vor fast zwanzig Jahren ein kleines, feines Museum für ihre exquisite Sammlung gebaut. Jetzt nähert sie sich der Innenstadt: Ab Frühjahr 2011 sind Videoarbeiten aus ihrer Kollektion im Haus der Kunst zu sehen. Und das ständig.

Frau Goetz, wann haben Sie das letzte Mal an einem Wühltisch gestöbert?

INGVILD GOETZ: Vor einem halben Jahr etwa. Auf Ibiza. Indische Pantoffeln, Täschchen, Schals. Weshalb?

Sind die Kunstmessen nicht inzwischen…

…zu Wühltischen verkommen. Oh ja, das ist leider so. Und viele Käufer schauen in dieser Hektik kaum noch hin. Da geht es nur noch ums Besitzenwollen. Allerdings gibt es keine Sonderangebote, es wird eher immer teurer.

Geht die Kunst dabei baden?

Sie ist jedenfalls für manche ein sehr attraktiver gesellschaftlicher Faktor geworden. Da macht es dann keinen Unterschied, ob man einen Lamborghini, eine Yacht oder Kunst kauft.

Wie kaufen Sie ein?

Ich bin eher ein Galerientyp, gehe höchstens zwei Mal im Jahr auf eine Kunstmesse. Wer wirklich an der Kunst interessiert ist, findet auch andere Wege, geht zu jungen, unbekannten Künstlern.

Was raten Sie jemandem, der sammeln möchte, aber nicht viel Geld hat?

Ich habe mit Papierarbeiten angefangen. Die sind erschwinglicher, und man kommt genauso leicht wie die Sammler von großen Kunstwerken in Kontakt zu Künstlern. Besonders in Amerika, wo sich kaum jemand für Grafik, Aquarelle usw. interessiert. Um einzusteigen, sollte man zu jungen, ambitionierten Galeristen gehen, die gut informiert sind. Und auch ein bisschen Vertrauen mitbringen, sich beraten lassen.

Ihr Mann sagt, Sie seien das beste Trüffelschwein überhaupt. Wie kommt’s?

Ich glaube, so etwas ist angeboren, das kann man nicht lernen. Aber Erfahrung spielt bestimmt eine Rolle – und immer wieder zu schauen. Und es gibt wohl die berühmte Regel: 5 Prozent Talent, 95 Prozent Schweiß.

Wann interessieren Sie sich für ein Kunstwerk?

Wenn es sperrig ist, irritiert, verstört. Das macht mich unruhig, ich schaue es mir dann nochmals an und hole mir Informationen ein. Es ist selten, dass ich gleich begeistert bin. Etwas, das mir sofort gefällt, macht mich eher stutzig. Denn ich vermute, dass es sich um etwas handelt, was ich schon in ähnlicher Art gesehen habe und mir deshalb vertraut ist.

Und es spielt keine Rolle, was gerade in ist?

Kunst ist entweder gut, dann ist sie immer in, oder Modekunst, dann ist sie von vornherein out.

Holen Sie sich auch mal Rat?

Ich verlasse mich komplett auf meinen Instinkt. Wenn man um Rat fragt, bekommt man so viele Antworten. Dass man mal Fehlentscheidungen trifft, ist auch klar.

Was passiert eigentlich mit Ihren Fehlkäufen?

Manches verkaufe ich weiter, manches schenke ich Museen, denn es kommt vor, dass dort gerade diese Arbeit fehlt, die nicht in mein Konzept passt, aber sehr gut ist.

Gibt es ein Budget, das Sie einhalten?

Ja, da bin ich ganz strikt, sonst geht das schnell ins Maßlose. Es kann passieren, dass ich Kunstwerke verkaufen muss, um ein neues zu finanzieren.

Die hanseatische Kauffrau.

Eben! Mit Schulden könnte ich nicht leben. Das würde mein Freiheitsgefühl beeinträchtigen.

Videokunst nehmen auch Kunstliebhaber oft nicht wahr. Was fasziniert Sie?

Es gibt heute so viele technische Möglichkeiten – auch ganze Räume zu bespielen. Das ist nicht mehr wie in den 60ern, wo ein kleiner Monitor in der Ecke stand. Heute sind’s oft Mehrfachprojektionen, so dass man sich in der Arbeit befindet. Ich erlebe das gerade bei Doug Aitken, der mich durch eine Vulkanlandschaft führt. Da glüht die Erde noch, und man hat wirklich das Gefühl, mittendrin zu stehen. Ich bin überzeugt, dieses Medium hat Zukunft. Auch unter unseren Besuchern ist das Interesse immens gestiegen. Nur eben nicht bei den Sammlern.

Die „Hängung“ ist ja nicht ganz einfach.

Sicher, aber es gibt doch diese wunderbaren Arbeiten auf Flachbildschirmen.

Auch in Ihren Privaträumen?

Ja, ich habe eine sehr schöne Vanitas-Arbeit von Sam Taylor-Wood. Sie hat Früchte als Stillleben arrangiert und den Verfall über Wochen gefilmt. Das Ganze ist dann im Zeitraffer auf knapp vier Minuten zusammengezogen. Faszinierend! Wenn man sich heute mit Vergänglichkeit und Tod beschäftigen möchte, dann mit einer solchen Arbeit. Ein mittelalterlicher Maler müsste neidisch werden bei diesen Möglichkeiten.

Mit der Videokunst gehen Sie ins Haus der Kunst. Ist Ihr Museum zu klein geworden?

Nein, das Haus der Kunst hat auch wegen anderen Ausstellungen angefragt. Und ich hatte die Idee, in diesen Bunkerräumen etwas zu machen. Der Ort ist ideal: Von einem langen Gang gehen zu beiden Seiten Räume ab. Der Besucher kann sich also aussuchen, in welches „Häuschen“ er gehen möchte, um einen Film anzuschauen.

Sie geben nur die Kunst?

Ich kuratiere die Ausstellungen – das werden zwei, drei im Jahr sein. Mein Team baut auf, und wir werden auch die Kataloge beisteuern. Die Museen haben ja kaum noch Geld, auch deshalb endet unser Engagement nicht mit der „Abgabe der Werke“.

Und das Haus der Kunst?

Übernimmt den Umbau, die technischen Geräte, die Personalkosten teilen wir uns. Ich denke, in ein Gegenwartsmuseum von heute gehört eine permanente Räumlichkeit, in der Film und Video gezeigt werden. Es wird nicht nur die junge Generation anziehen. Und das P1 ist um die Ecke, man kann quasi den Abend mit einem Film beginnen.

Das Ganze ist für vier Jahre geplant.

Ja, dann sehen wir weiter.

Ändert sich hier an der Oberföhringer Straße etwas?

Nein, das bleibt alles genau wie vorher.

Wie muss man sich die „Maschinerie Goetz“ vorstellen? Sie haben ja viele Mitarbeiter.

Wir recherchieren sehr viel, pflegen ein umfangreiches Archiv, eine Bibliothek mit fast 7000 Büchern, die Kuratoren und Studenten nutzen können. Eine Restauratorin und zwei Mitarbeiter im Depot kümmern sich um den Erhalt der Werke – oft in enger Absprache mit den Künstlern. Da stellt sich schon mal die Frage, ob man einen Motor oder einen anderen Gegenstand einfach ersetzen kann oder ihn erhalten muss. Wir sind nicht nur das kleine Museum am Stadtrand, sondern auch ein kleines Laboratorium.

Wird Ihre Liebe zur Kunst in der Familie geteilt?

Ja, mein Mann ist sehr ambitioniert, konzentriert sich auf chinesische Kunst. Auch beide Kinder sind interessiert, kaufen hie und da Kunst.

Werden Ihre Kinder die Sammlung weiterführen?

Denke ich nicht. Die haben ihre eigenen Berufe, die sie lieben. Das möchte ich auch keinem zumuten. Grauenvoll, wenn man von der Mutter gezwungen wird, ihre Passion weiterzuführen!

Gibt’s Bilder, die Ihnen besonders nah sind?

Ich wechsle alles. Mich interessiert immer das Neueste, das ich erworben habe. Und das hängt an der Wand, schon um zu sehen, ob’s Bestand hat. Ich habe einen wunderschönen Kounellis, der hängt öfters hier. Es gibt so vieles, das ich mag!

Sie könnten sich’s ja auch gut gehen lassen in Ihrem Garten.

Schon. Aber ich liebe die Kunst und dieses Museum. Das ist meine Leidenschaft. Es gibt so viele interessante Begegnungen, gerade auch mit jungen Künstlern. Das inspiriert mich sehr.

Gibt’s trotzdem etwas völlig anderes, das sie fasziniert?

Die Natur.

Garteln Sie etwa?

Ja! Garteln ist was Wundervolles. Die Kunst ist dann ganz weit weg, und mich interessiert nur noch, ob die Blumen gedeihen oder ein Baum richtig wächst. Das gibt mir Balance und inneren Frieden.

Noch ein Traum, der nach Erfüllung ruft?

Eigentlich nicht. Ich freue mich jeden Tag, dass ich gesund bin, und an der Natur. Es sind die kleinen Dinge, die mich glücklich machen.

Sie engagieren sich ja auch für soziale Projekte.

Ja, das ist mir wichtig. Und das geht vom Asylantenheim bis zu Patenkindern in Indien. Mit wenig Geld kann man oft schon so viel machen. Aber wir finanzieren auch viele große Projekte. Die gehe ich mit meinem Mann an.

Ist Besitz Verpflichtung?

Auf jeden Fall! Das hat auch nichts mit Gutmenschentum zu tun. Jeder, der Geld hat, ist verpflichtet, einen Teil abzugeben an andere, um ihnen die Möglichkeit zu geben, besser zu leben.

Christa Sigg

Sammlung Goetz, Oberföhringer Str. 103, Mo bis Fr 14 bis 18, Sa 11bis 16 Uhr, nach Anmeldung Tel.95 93 96 90; bis 18.9. sind Videos von Saskia Olde Wolbers und Konzeptkunst von Andreas Slominski zu sehen

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