Neues Raunen vom großen Zauderer

Langsam steigert sich die Verwirrung: Christian Thielemann will in München bleiben – aber auch nach Dresden wechseln
von  Abendzeitung

Langsam steigert sich die Verwirrung: Christian Thielemann will in München bleiben – aber auch nach Dresden wechseln

Gestern glaubte noch mancher, die hiesige Kulturborniertheit hätte nach Mozart, Wagner und Thomas Mann wieder ein Genie vertrieben. Aber es scheint sich nur das aus Thielemanns Karriere bekannte Schema zu wiederholen: Er verabschiedet sich mit Getöse, weil er längst anderswo angebandelt hat und der Gegenseite den Vertragsbruch einbrocken will.

Am Freitag bestätigte Eileen Mägel, Sprecherin des Sächsischen Kunstministeriums, „erste Kontakte“ mit Thielemann. Dieser habe sich zu einem „Kennenlern-Dirigat“ mit der Staatskapelle bereit erklärt. Deren Musiker, die sich derzeit auf Urlaub befinden oder im Bayreuther Festspielorchester seiner Leitung im „Ring“ mitwirken, hätten das „erste Wort“, das Ministerium als Partner bei Vertragsverhandlungen „das letzte“.

Vor einem Monat wurde bekannt, dass Fabio Luisi, bisher Generalmusikdirektor der Semperoper und Chefdirigent der Staatskapelle, seinen 2012 auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird. Das Orchester ist auf Wagner und Strauss spezialisiert, die Verbindung aus Oper und Konzert wäre für Thielemann reizvoll.

Pokert Thielemann?

Aber nun wird es seltsam: Von Bayreuth aus macht Thielemann den Münchner Philharmonikern neue Avancen: „Ich liebe dieses Orchester und möchte bleiben – um manchen, aber nicht um jeden Preis.“ Deshalb hoffe er, „dass die Entscheidung des Stadtrats – so abschließend sie auch klingt – kein Ende der Gespräche bedeutet“.

In der Sache bleibt Thielemann hart: Er verlangt weiter eine volle Programmhoheit, die ihm der Stadtrat mit guten Gründen nicht gewähren will. Nach seiner Darstellung wurden die Verhandlungen über einen Vertrag bis Ende der Spielzeit 2016/17 im Mai „unterschriftsreif“ abgeschlossen. Anfang Juni habe sich der Orchestervorstand an die Stadt gewandt und verlangt, die Entscheidung über Gastdirigate dem Intendanten zu übertragen. Dies mochte Thielemann als „für mich und jeden anderen Generalmusikdirektor von Rang unzumutbare Vertragsklausel“ nicht akzeptieren.

Die Empörung hielt sich in Grenzen

Die neue Volte wirkt, als reibe sich der Dirigent nach zwei Tagen Zeitungslektüre verwundert die Augen. Er scheint auf einen Aufschrei der Empörung gehofft zu haben, den bisher nur sein Paladin Dieter Borchmeyer und Thomas Goppel erschallen ließen. Das Orchester schweigt weiter vielsagend. Wenn Thielemann nun zurückrudert, warum fordert er weiter eine Vereinbarung, die ihm erlaubt, beim endgültigen Bruch mit dem Intendanten kündigen zu können? Gewiss sollte man bei Verträgen immer an den Streitfall denken. Aber der mißtrauische Dirigent stellt sich die tägliche Arbeit offenbar wie einen Stellungskrieg vor. Wohlgemerkt: Intendant Paul Müller war sein Wunschkandidat.

Die Stadt lehnt weitere Verhandlungen ab. „Das ist ein bisschen spät“, sagte ein Sprecher. „Das war eine endgültige Entscheidung des Stadtrats.“ Christoph Schmökel, der Anwalt des Dirigenten, hofft auf den Faktor Zeit. Bis 2011 müssten Thielemann und die Stadt ohnehin zusammenarbeiten. „Ich denke, der Rauch muss sich erst mal verziehen, und dann werden wir sehen, ob wir einen Scherbenhaufen haben oder ob ein Phönix aus der Asche aufsteigt.“

Verwechselt Thielemann Verhandlungen mit einem Pokertisch? Will er den Preis in Dresden hochtreiben? Oder gelüsten ihn neuerdings gar zwei Chefposten? Kulturreferent Hans-Georg Küppers sollte es rausfinden. Wenigstens damit wir wissen, was in den Köpfen bockiger Genies vorgeht.

Robert Braunmüller

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