Neues Buch: Konstantin Wecker im Interview über 1968 sowie das Verhältnis zwischen Poesie und Widerstand

Der Liedermacher Konstantin Wecker aus München über das Jahr 1968, das Verhältnis zwischen Poesie und Widerstand und sein neues Buch.
von  Bettina Funk
Konstantin Wecker erhielt bereits im Alter von sechs Jahren seinen ersten Klavierunterrich, später Geige und Gitarre. Er trat schon als Kind als Solist eines Kinderchors auf.
Konstantin Wecker erhielt bereits im Alter von sechs Jahren seinen ersten Klavierunterrich, später Geige und Gitarre. Er trat schon als Kind als Solist eines Kinderchors auf. © dpa

Im Aufbruchsjahr 1968 ging Konstantin Wecker noch zur Schule. Er besuchte die letzte Klasse des Theresien-Gymnasiums in der Ludwigsvorstadt und machte ein Jahr später sein Abitur. Aber er hatte damals auch schon erste Auftritte auf Kleinkunstbühnen. Die damalige Rebellion gegen das bürgerliche Establishment hat ihn geprägt – bis heute.

AZ: Herr Wecker, 50 Jahre sind seit 1968 vergangen. Was ist von der Stimmung übrig?
KONSTANTIN WECKER:
Ganz viel. Ich halte ja die 68-Bewegung, zusammen mit den Hippies für eine der größten und wichtigsten Revolutionen der Weltgeschichte. Da wurde, und das ist wirklich einmalig, einfach alles in Frage gestellt, was vorher tabuisiert war. Und das, was mir gerade an der Hippiebewegung so gefallen hat, war, dass man jede Form von Kommerz in Frage gestellt hat.

Ist die damalige Revolution gescheitert oder war sie ein Erfolg?
Meines Erachtens ist die 68er-Bewegung gescheitert an der starren und sturen Ideologisierung. Das hat die Bewegung kaputt gemacht und mich in meiner grund-anarchischen Haltung bestätigt, dass die Utopie, nach der wir uns sehnen sollten, eine herrschaftsfreie ist. Das ist auch ein Thema meines neuen Buches "Auf der Suche nach dem Wunderbaren".

"Anarchischer Psalm", so nennt Konstantin Wecker sein neues Werk

Was treibt Sie darin um?
Das ist eigentlich ein klassischer Slam-Poetry. Früher hätte man gesagt, es ist ein Prosagedicht. Und genauso ist es auch entstanden. Ich nenne es in einem anderen Untertitel einen "anarchischen Psalm". Es ist ein Aufruf für das, was ich schon oft in Liedern auch gesagt habe, ein sehr politischer Aufruf für eine herrschaftsfreie Gesellschaft. Ich sehe immer weniger ein, warum irgendein Mensch das Recht haben sollte, den anderen etwas zu befehlen. Wir können uns Ratschläge geben, wir können miteinander Regeln einhalten, wir können entscheiden, dass es besser ist, bei Rot nicht über die Straße zu gehen. Aber Befehle und dann auch noch bedingungslosen Gehorsam? Es gibt keinen Grund dafür. Das ist eigentlich auch immer irgendwo das Hauptthema der meisten meiner Lieder gewesen. Immer wieder kommt dieses Thema durch.

Hatten Sie damals Vorbilder für Ihren Protest?
Da hat mich als junger Mann Henry Miller unterstützt, den habe ich mit 17 begeistert gelesen. Der hat gesagt "Der wahre Künstler muss Anarchist sein" und ich habe mir gedacht "Das merke ich mir!". Ich hatte auch das große Glück einen antiautoritären Vater zu haben. Das war in einer Zeit, wo 90 Prozent meiner Schulkameraden Nazi-Eltern hatten, fast schon ein Wunder.

Was hat sich seit 1968 bei den Liedermachern verändert?
Ich sehe das jetzt an jungen Liedermachern, die sich auch so nennen, die orientieren sich an Hannes Wader und Franz-Josef Degenhardt und sicherlich auch an mir und Reinhard Mey. Sie orientieren sich an dem, was da so in den Siebzigern und Achtzigern und sicherlich auch früher um 1968, entstanden ist.

Was brachte die Zeit musikalisch?
Da hatte plötzlich der Schlager kaum Gewicht mehr. Ich kann mich noch erinnern, wie die Plattenfirmen versucht haben, das Ganze zu vereinnahmen. Da waren die großen Friedenskonzerte mit hunderttausend Leuten in den Achtzigern. Da haben die Plattenfirmen versucht, ihre Schlagerfuzzis mit hineinzubringen, weil die gemerkt haben, da ist ein Markt, den sie nicht geschaffen haben. Da war etwas, was auf Kleinkunstbühnen entstanden ist und dadurch ein Publikum bekommen hat. Das ist schon spannend gewesen. Das kann auch jetzt wieder ein Vorbild sein für junge Künstler. Die Liedermacher von damals haben sicher etwas gesät, was wieder entdeckt werden kann und wird und soll.

So kam Konstantin Wecker in den Sechzigern zur Musik

Sind Ihre alten Lieder heute noch aktuell?
Ja, das ist ja das Erstaunliche und Erschütternde. Allerdings habe ich ja nie Lieder geschrieben, oder ganz selten, die sich auf einen aktuellen politischen Moment beziehen. Es ist eigentlich auch mehr ein allgemeines, also nie ein aktuell politisches Lied, sondern mehr im Sinne wie Brecht seine politischen Texte geschrieben hat. Jetzt ist das ein bisschen anders. Meine jeweils neuen "Willy"-Adaptionen, da gibt es jetzt im Laufe der Jahrzehnte zwölf davon, gehen schon sehr auf die aktuelle politische Situation ein.

Wie sind Sie in den 60er Jahren zur Musik gekommen?
Seit meinem zwölften Lebensjahr war ich in Poesie und Lyrik vernarrt. Eigentlich komme ich von der klassischen Musik, mein Vater war Opernsänger. Als dann die Beatles ihren ersten Hit hatten, habe ich das verächtlich zur Seite geschoben und habe zu meiner Klasse gesagt: "Hört euch mal das Beethoven-Violinkonzert an, dann hört ihr was Vernünftiges!"

Was haben Sie nach Beethoven gehört?

Janis Joplin und Ray Charles das waren dann meine Erweckungserlebnisse. Da habe ich gemerkt, dass es noch eine andere Musik gibt als die reine Klassik und bin auf den Soul gekommen. Aber Gedichte habe ich schon immer geliebt und ich habe auch früh sogenannte Kunstlieder komponiert. Ich kannte nämlich nur Schubert, Schumann und Brahms. Als ich etwa 13 Jahre alt war habe ich Uhland, Eichendorff und Rilke vertont. Außerdem habe ich in der Zeit auch schon selbst Gedichte geschrieben. Ich kam aber damals nicht auf die Idee, das selbst auch zu singen.

Wann haben Sie Ihre Meinung geändert?
Das war als ich Franz Josef Degenhardt mit "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern"gehört habe. Da habe ich gedacht, das gibt’s doch nicht, das ist ein richtig guter Text und der wird vertont und auf Deutsch gesungen. Ich kam durch Georg Kreisler drauf, dass man das ja auch am Klavier machen kann. Und so fing ich an, meine eigenen Sachen auch am Klavier zu spielen und meine Gedichte auch zu vertonen. So um 1965 fing ich an, auf Kleinkunstbühnen zu tingeln. Damals waren Hannes Wader und Reinhard Mey schon richtige Stars. Ich habe nur drei Lieder gespielt und ein paar Bier dafür bekommen – eine tolle Zeit.

Gab es zu dieser Zeit denn schon das politische Lied?
Nein, das gab es, wie wir s heute verstehen, noch gar nicht. Aber was es gab, das waren Text, die einfach erst mal keine Schlagertexte waren. Und kritische Texte gab es schon, wenn man an Degenhardt denkt. Der ist ein großartiger Dichter gewesen und hat wunderschöne Texte geschrieben. Trotzdem waren wir aber alle politisch motiviert. Wir waren auf der Straße, wir waren auf den Demos in der 68er-Zeit. Aber ich habe mich nicht als einen politischen Sänger verstanden. Bis mir dann der "Willy" passiert ist. Das habe ich aber auch nicht als politisches Lied gesehen, sondern ich wollte eine Geschichte erzählen, wie ich sie erlebt habe, wobei sich die Geschichte eigentlich selbst erzählt hat.

Sehen Sie sich als politischen Sänger?
Ich habe immer gesagt, ich bin Poet. Ich war politisch sehr engagiert, aber ich wollte kein politischer Sänger sein. Auch noch nach dem "Willy" – der ist 1976 entstanden – wollte ich das nicht sein. "Willy" ist damals ein Hit geworden und ich wurde sehr auf dieses Lied festgelegt.

Konstantin Wecker ist kein politischer Sänger, sondern ein Poet

Was hat Sie daran gestört?
1968 war eine sehr anarchische Bewegung. Das war sehr lustvoll und der Versuch, eine herrschaftsfreie Welt zu schaffen. Meine Gegner in den Siebzigern waren gar nicht so sehr aus dem bürgerlichen Lager, sondern das waren die linken K-Gruppen. Die haben meine Bühnen besetzt und wollten da ihr Weltbild verkünden. Mich hatten sie besonders auf dem Kieker, weil ich schon immer bekennender Anarchist war. Ich wollte mich von keiner Ideologie vereinnahmen lassen und das ist mir auch geglückt. Ich bin nie in einer Partei gewesen. Aber heute leben wir in einer Situation, die es erfordert, dass ich mich bekennend auch als politischer Künstler bezeichne. Ich hätte nicht gedacht, dass so eine drohende Faschisierung Europas noch einmal möglich sein könnte. Wir müssen höllisch aufpassen! Ich bin der Meinung, dass jeder, der etwas zu sagen hat, sich zur Demokratie bekennen muss. Ich habe es in meinem neuen "Willy" bezeichnet, als das hoffentlich letzte, verzweifelte Aufbäumen des Patriarchats. Weil sie auch merken, dass die Frauen, in der westlichen Welt auf jeden Fall, immer stärker und selbstbewusster werden.

"Poesie ist Widerstand" lautet der Untertitel Ihres Buches. Wie geht beides zusammen?
Poesie ist etwas, was die Herrschenden und Machthaber nicht an sich heranlassen wollen. Sie ahnen nämlich, dass die Poesie in ihnen etwas wecken könnte, was sie verdrängt haben, zum Beispiel das Mitgefühl. Ich habe immer versucht, mich dagegen zu verwehren, dass die Ratio allein irgendetwas verbessern kann. Wohin hat uns denn die Vernunft gebracht? Wir sind dabei, unsere Grundlage, auf der wir leben können, restlos zu zerstören. Ratio allein kann völlig wahnsinnig werden. Bei den Machthabern ist die Ratio ganz oft nicht angebunden ans Gefühl. Und das bringt mich wieder zur Poesie zurück. Drum werden in jeder angehenden Diktatur als erstes die Dichterinnen und Dichter vertrieben und dann die Bücher verbrannt. Die AfD möchte ja das Regietheater abschaffen, weil ihnen auch die Kultur Angst macht. Darum brauchen wir so dingend die Poesie. Und darum geht es im Buch: Poesie ist Widerstand.

Im März 2019 werden Sie in der Elbphilharmonie auftreten – ein Bau. der 866 Millionen Euro gekostet hat und deshalb ein Politikum war. Passt das zu Ihnen?
Mir ist es viel lieber, wenn für eine Kultureinrichtung viel Geld ausgegeben wird, als wenn es für das Militär ausgegeben wird. Ich Freude mich sehr darauf, dort zu spielen und den Raum von innen zu erleben. Gerade diesen Saal muss man politisch rocken.


"Auf der Suche nach dem Wunderbaren - Poesie ist Widerstand" (Gütersloher Verlagshaus, 144 Seiten, 15 Euro) erscheint am 17. September

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