Neuer Marstall im Gasteig?

Ein skandalös besetztes Podium ersinnt vor hochemotionalem Publikum eine alte Idee in neuer Dimension als Lösung der Konzertsaal-Frage
von  Abendzeitung

Ein skandalös besetztes Podium ersinnt vor hochemotionalem Publikum eine alte Idee in neuer Dimension als Lösung der Konzertsaal-Frage

Zerstrittene Fanlager im Saal, verzweifelte Aufrufe zur Geschlossenheit vom Podium, wütende Proteste oder Bravo-Zwischenrufe – seit den Zeiten der Stadion-Debatte in den 90er Jahren hat München keine so emotionsgeladene Diskussion um ein Einzelbauwerk mehr erlebt wie nun wieder um den Marstall als neuen Konzertsaal.

Der wunderbare Klenze-Bau hinter der Residenz könnte zum topmodernen Konzertsaal ausgebaut werden, um dem Symphonieorchester des BR eine Heimat zu geben und die Musikfans sozusagen vom Gasteig zu erlösen, der nicht nur wegen seiner Akustik kein Spielort auf Weltniveau mehr ist.

Ein Podium für Marstall-Gegner

Dazu gibt es vorläufige Pläne aus einem Ideenwettbewerb, die vor allem vom BR-Chefdirigenten Mariss Jansons und Ex-Finanzminister Kurt Faltlhauser propagiert werden. Das mit ebenfalls sehr vorläufigen 120 Millionen Euro veranschlagte Projekt schien bereits wieder beerdigt – bis Ministerpräsident Horst Seehofer vor einigen Wochen den magischen Satz sagte: „Ich möchte dieses Projekt.“

Der nun von der Akademie der Schönen Künste organisierte Abend vor mehreren hundert Zuhörern im Plenarsaal war mehrmals kurz davor, völlig aus dem Ruder zu laufen. Einen Grund dafür lieferte Akademie-Präsident Dieter Borchmeyer, der ein geradezu skandalös zusammengesetztes Podium zu verantworten hatte: Dort saßen fast ausschließlich Marstall-Gegner oder -Skeptiker, was auch das Publikum lautstark kritisierte. Borchmeyer hinderte das nicht daran, eine neutrale Ausgangslage zu behaupten. Jansons habe schließlich seine Teilnahme hochmütig abgesagt, und Faltlhauser „kann man nicht einladen“, so Borchmeyer, da dieser in seiner Reaktion auf einen marstallkritischen offenen Brief der Akademie deren Präsidenten, also ihn höchstselbst, beleidigt habe. Da blieb selbst so manchem Marstall-Gegner der Mund offen stehen.

Den Gasteig entkernen?

Trotz dieser für Hochkultur-Verhältnisse krawalligen Ausgangslage entwickelte sich eine hochinteressante Diskussion, die zwar erwartungsgemäß gegen den Marstall lief – aber für einen Umbau der Gasteig-Philharmonie eine neue Dimension eröffnete.

Vor allem Kunstminister Wolfgang Heubisch und Kulturreferent Hans-Georg Küppers deuteten mehr als nur an, dass sich Freistaat und Stadt offenbar inzwischen ein gemeinsames Vorgehen vorstellen können, um eine so genannte große Lösung für den Gasteig hinzubekommen. Das würde „eine Totalsanierung bis hin zur Entkernung“ bedeuten, so Philharmoniker-GMD Christian Thielemann. Also kein Herumdoktern am alten Saal, sondern einen völlig neu konzipierten oder gar neu gebauten Raum in der gewohnten Backsteinhülle.

Dass eine gemeinsame Heimat für zwei Orchester nicht nur denkbar, sondern sinnvoll sein könnte, wurde zwar von BR-Musikern im Publikum in rüdem Ton bestritten. Doch die Aussicht, dass es möglich sein könnte, sozusagen die Sexyness der Marstall-Pläne mit der Vernünftigkeit einer Gasteig-Lösung zu kombinieren, hatte auch für viele im Publikum einen gewissen Reiz.

Auch wenn Thielemann – eher scherzhaft – einwarf, man könne ja auch auf dem Marienhof neu bauen und Moderator Jens Malte Fischer mit Brecht schloss („...Vorhang zu und alle Fragen offen“), hatte diese ungut aufgezogene Akademie-Diskussion einen Weg aufgezeigt, der vielleicht in die Konzertsaal-Zukunft weist.

Michael Grill

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.