Neue Töne aus dem Hinterhof
Neues Gesicht der Literaturszene: Maria Gazzetti wird Leiterin des Lyrik Kabinetts
Sie wechselt vom großen Frankfurter Literaturhaus in einen Hinterhof der Maxvorstadt. Aber für Maria Gazzetti ist das kein Karriereknick, sondern eine Chance. Die gebürtige Italienerin wird ab Dezember das Lyrik Kabinett leiten. Bewusst will sie sich einer Gattung widmen, „die kleinere Brötchen bäckt“, die keine Bestseller hervorbringt und nur selten große Aufmerksamkeit bekommt.
„Ein Gedicht ist wie ein Blitz, es reißt einen instinktiv in eine Stimmung hinein“, erklärt sie ihre „geheime Leidenschaft“. Diese Leidenschaft wird sie nun öffentlich machen: mit Lesungen, einer eigenen Buchreihe und mit der zweitgrößten Lyrik-Bibliothek, die es in Europa gibt.
Das Lyrik Kabinett, das die Mäzenin Ursula Haeusgen im Jahr 1994 gründete, hat in der literarischen Szene einen ausgezeichneten Ruf. Alle wichtigen Dichter des Landes waren schon in der Amalienstraße hinter der Uni zu Gast – nur: Viele Münchner kennen den gut versteckten Glasbau nicht. „Viele Deutsche haben Angst vor Lyrik“, glaubt Gazzetti. „Aber man muss kein Philologe sein, um ein Gedicht zu empfinden und es zu genießen.“ Schon in der Schule hafte der Lyrik hierzulande etwas Weihevolles an.
Anders in Italien: „Bei uns lesen schon zehnjährige Schüler Dantes ,Göttliche Komödie’. Lyrik ist nicht nur schwer, sondern auch sonnig und leicht.“ Gazzetti kennt den Literaturbetrieb: Nachdem sie in Hamburg Romanistik, Germanistik und Geschichte studierte und promovierte, arbeitete sie als Wissenschaftlerin, Übersetzerin und Kuratorin. In Frankfurt wurden ihre Einführungen hoch gelobt: nicht nur für den Inhalt, sondern auch für die ansteckende Liebe zur Literatur.
Die zierliche Römerin sieht sich als „eine Art Diplomatin“, die Autoren, Verlage und Publikum zusammenbringt. Im Lyrik Kabinett will sie Gesprächsreihen mit Autoren einführen und zu den „Münchner Reden zur Poesie“ auch Schriftsteller aus dem Grenzbereich von Prosa und Lyrik einladen.
Um mehr junge Leute anzusprechen, plant sie eine Kooperation mit der Uni. Einen monatlichen Poetry Slam gibt es bereits. Begeistert zeigt Gazzetti Fotos, auf denen junge Leute bei Bier und Disco-Licht Versen lauschen. Dass Literatur für Maria Gazzetti nichts mit einem Elfenbeinturm zu tun hat, wird schnell klar.
Sie selbst liest beim Auswachen und beim Einschlafen, in der U-Bahn, im Zug. Gerade liegt Peter Esterházys „Ein Produktionsroman“ auf ihrem Nachttisch: „Das Buch hat in Ungarn vor 30 Jahren eine Jugendbewegung ausgelöst. Es hat heute noch eine ungeheuere Kraft.“ Und derzeit hat es ihr die Autobiografie der New Yorker Society-Lady Gloria Vanderbilt angetan. „Wie sie immer neu angefangen hat im Leben und in der Liebe, das bewundere ich.“
Auch Maria Gazzetti fängt neu an, in einer Stadt, die sie schätzt: „Die Menschen scheinen hier verwurzelt zu sein, das mag ich. Und der blaue Himmel Münchens erinnert mich an Bergamo.“ Mounia Meiborg