Neue Maßstäbe und ein Rätsel
Über die Verwandlung der musica viva in ein Museum der musikalischen Avantgarde lässt sich trefflich streiten. Der neue künstlerische Leiter Winrich Hopp wirkt aber entschlossen, die einstigen Studiokonzerte mit prominenten Solisten und einer klaren Handschrift aufzuwerten. Der gut besuchte Boulez-Abend im Prinzregententheater setzte hier neue Maßstäbe.
Pierre-Laurent Aimard und Tamara Stefanovich spielten abwechselnd das Gesamtwerk des Franzosen für Klavier solo und zuletzt gemeinsam das zweite Buch der „Structures” für Klavierduo. Schon die „Douz Notations” von 1945 erstaunen: Ohne jede Beziehung zum französischen Neoklassizismus der Zwischenkriegszeit schlagen die barschen, an Webern und Schönberg anknüpfenden Miniaturen des 19-Jährigen Komponisten eine neue Seite der Musikgeschichte auf.
Die in einem Jahrzehnt bis 1957 entstandenen drei Sonaten zitieren und zertrümmern dann klassische Formen. Aber alle Werke raffen sich zuletzt doch zu effektvoll-herrischen Schlussgesten im Stil des alten Klaviervirtuosentums auf. Hier von Interpretation zu sprechen, ist schwierig, aber es wurde deutlich, dass Aimard Kontraste schärfte und die Wildheit betonte, während seine pianistisch nicht minder perfekte Partnerin etwas verbindlicher wirkte.
Boulez’ Klaviermusik wie Chopin zu lieben, dürfte unmöglich sein. Sie will in ihrer Hermetik auch nicht gefallen. Ihre seriellen Strukturen sind hörend schwer nachvollzieh- und verstehbar. Wenn sie aber so hervorragend gespielt und erklärt werden wie an diesem Abend, nötigt ihre Unbedingtheit nicht nur Respekt ab: Dann ist diese Musik auch als Rätsel ein beeindruckendes Erlebnis.
Am Samstag, 17. Dezember 20011, spielt das Arditti-Quartett um 20 Uhr in St. Ursula, Kaiserplatz 1, Musik von Cage