Neue deutsche Romantik

Tom Tykwer gelingt mit seiner geistreichen Komödie ein kunstvoller, dabei völlig natürlicher Film über die Frage: Wie rettet man die Liebe in bindungslosen Zeiten? Die Antwort ist „Drei“
von  Abendzeitung

Tom Tykwer gelingt mit seiner geistreichen Komödie ein kunstvoller, dabei völlig natürlicher Film über die Frage: Wie rettet man die Liebe in bindungslosen Zeiten? Die Antwort ist „Drei“

Was hat sich eigentlich in den deutschen Schlafzimmern geändert? Jetzt, wo die kohl-lastige Bonner Republik schon 20 Jahre zur angeblich frischeren Berliner Republik geworden ist? Tom Tykwer hat für diese prickelnde Frage eine wunderbar ausbalancierte, ein wenig augenzwinkernde und in seinem Film umwerfend natürlich dargestellte Antwort: Wenn zwei sich nach Jahren des Zusammengehörigkeitsgefühls langweilen, erfreut sie ein Dritter, wenn alle offen genug sind. Das Experimentierfeld der nicht mehr ganz jungen, lässig-schicken, liberal-konservativen Neo-Bürgerwelten ist die Berliner Stadtlandschaft – abseits des kaputt-alternativen Kreuzberg-Klischees im Film eine Stadt von wild-romantischer Schönheit.

Schon beim Festival in Venedig hat „Drei“ angeregte Diskussionen ausgelöst und wurde als „deutsch“ empfunden. Ja, das ist er – im allerbesten Sinne. Denn Tykwer packt in seine Komödie auch viel Ernsthaftigkeit, Tiefe und Kunst: Krankheit und Tod lauern, werden aber hier einmal heiter-ironisch behandelt, oft sogar äußerst witzig (mit Hagens „Körperwelten“ oder ambulanter einseitiger Hoden-Amputation).

Stil-Bandbreite zwischen poetischer Reflexion und Screwball

Gleich die ersten Szenen geben die Stil-Bandbreite vor: Erst ein poetischer innerer Reflexionsmonolog über Lebens- und Beziehungsfragen im Zug. Man sieht nur die Telegrafenleitungen am Fenster vorbeischwingen. Nach diesem fast philosophischen Einstieg erlebt der Zuschauer gleich einen geistreich schnelles, witziges Fopp-Gespräch – im Stile einer Screwball-Comedy – zweier langjähriger Lebensgefährten (Sebastian Schipper und Sophie Rois als moderne Frau, die gleichzeitig resolut, ironisch und doch sinnlich ist). Mit Devid Striesow kommt noch ein Ossi – auch erotisch – ins Spiel, dessen Provinz-Heimat nicht trostlos oder spießig wirkt, sondern im Gegenteil wie eine relativ heile Welt für modern verwirrte Westler.

„Drei“ ist so ein Film mit allen Stärken. Er philosophiert in einer kunstvoll-künstlichen Versuchsanordnung im lässigen Milieu mit experimenteller Leichtigkeit und löst die Frage, wie Liebe und Lust in bindungsfreieren Zeiten auf lange Strecke noch funktioniert. Tykwer bleibt dabei tief romantisch: Denn Liebe muss bei allen und allem im Spiel bleiben!

Adrian Prechtel

Kino: City, Filmcasino, Mathäser, Münchner Freiheit, B&R: Tom Tykwer (D, 118 Min.)

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