Nasser Walzer-Wahnsinn

Klassik am Odeonsplatz: Trotz Regens amüsierte sich am Sonntag ein deutlich geschrumpftes Publikum mit den Labeques, Semyon Bychkov und den Münchner Philharmonikern
von  Abendzeitung

Klassik am Odeonsplatz: Trotz Regens amüsierte sich am Sonntag ein deutlich geschrumpftes Publikum mit den Labèques, Semyon Bychkov und den Münchner Philharmonikern

Immer nur übers Wetter lamentieren wird auch langweilig. Seine Version von „Positiv denken“ hätte OB Christian Ude aber besser für sich behalten. Das vollmundige Resümee, die Münchner Philharmoniker hätten bei Klassik am Odeonsplatz immer Glück gehabt, schien die Wolken am Sonntagabend eher herauszufordern.

Tschaikowskys „Capriccio italien“ durfte noch im Trockenen sprudeln (und schmeckt doch immer wie süßer Billigschampus), bei Poulenc wurde es dann schon kritisch. Katia und Marielle Labèque griffen herzhaft ins schräge Tasten-Amusement des Franzosen, holten Charme, Eleganz und eine ordentliche Portion Witz aus dem Konzert für zwei Klaviere. Und landeten am Ende im Regen.

Jung geblieben

Mit gut über fünfzig kommen die aquitanischen Schwestern immer noch mädchenhaft grazil über die Bühne, dunkle Lockenmähne und Hängerkleidchen in Rot und Lila tun ein Übriges. Doch Piano-Elfen sollte man nicht unterschätzen, die beiden haben’s mit dem Jazz, was nicht nur dem zweiten Satz dieses Poulenc besser bekommt als braves Etüdenstudium.

Mit Michel Camilos „Tropical Jam“ servierte das Duo dann auch die ideale Zugabe. Nur drängten die Leute ungeduldig aus dem Regen in die Pause und damit unter diverse Torbogen, „Sonnen“-Schirme und allerlei Dächlein.

Feuchter Abend

Es blieb nass, auch wenn Dirigent Semyon Bychkov mit Bizets „L’Arlésienne“ in südlichere Gefilde aufbrach und das im langen schwarzen Gilet statt Frack unterstrich. Die warmen Streicherklänge der Philis brachten tatsächlich provençalisches Kolorit auf den nächtlichen Platz, die Temperaturen waren im Vergleich zum Vortag schließlich gestiegen. Und das wehmütige Drama mit den schönen Tänzen nahm seinen Lauf. Der Mann am Pult und die Musiker tauschten einvernehmliche Blicken aus, und dass man sich so gut verstand, dokumentierten ausgerechnet zwei Quadratköpfe: Bychkov und Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschovici scheinen den selben Frisör zu haben.

Allenfalls die raschelnden Regencapes konnten da stören, aber mit Ravels bombastischem Walzer-Wahnsinn kam nochmal mächtig Spannung auf. „La Valse“ erfuhr subtilste Steigerungen hin zum hysterisch-dissonanten Exzess. Und bevor’s mit Chatschaturjan und einem Ungarischen Tanz von Brahms in die umjubelte Zugabenrunde ging, gab sich ein erschöpfter Semyon Bychkov „so glücklich“, mit den Philis hier zu musizieren. Eine Bemerkung, auf die man von Herrn Thielemann vergeblich warten dürfte.

Christa Sigg

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