Nanga Parbat: Das Geheimnis der tödlichen Wand

Das Drama am Nanga Parbat: Die Kinoversion des Schickals der beiden Messner-Brüder wird den Streit um den Tod von Günther nicht entschärfen. Reinhold Messner und Joseph Vilsmaier über ein schwieriges Projekt.
von  Abendzeitung

Das Drama am Nanga Parbat: Die Kinoversion des Schickals der beiden Messner-Brüder wird den Streit um den Tod von Günther nicht entschärfen. Reinhold Messner und Joseph Vilsmaier über ein schwieriges Projekt.

Am 27. Juni 1970 gegen 17 Uhr erreichten die beiden Brüder Reinhold und Günther Messner über die extrem schwierige, 4500 Meter hohe Rupalwand den Gipfel des Nanga Parbat (8125 Meter) – aber nur Reinhold kommt lebend zurück. Wann und auf welcher Höhe der jüngere Bruder starb, darüber stritt Reinhold Messner mit den Expeditionsteilnehmern noch Jahrzehnte später vor Gericht. Ab Donnerstag bringt der Film „Nanga Parbat“ von Joseph Vilsmaier die Wahrheit ans Licht – Reinhold Messners Wahrheit.

AZ: Herr Messner, kaum ein Drama am Berg ist so dokumentiert, aber auch umstritten, wie die Nanga-Parbat- Expedition von 1970. Warum suggeriert der Film, dass sich Peter Scholz und Felix Kuen auf dem Gipfel darüber Freude, dass die tags zuvor erfolgreichen Messner-Brüder wohl nicht heil ins Basislager kommen werden?

REINHOLD MESSNER: Das stimmt so nicht. Das wird nur einem unterstellt und zwar dem Felix. Und das ist aus späteren Äußerungen rekonstruierbar. Expeditionsleiter Karl Maria Herrligkoffer hat dem Felix Kuen nach der Rückkehr ins Basislager, als er ahnte, dass etwas mit mir und Günther passiert war, suggeriert, er sei der wahre Sieger. Insofern sind in dieser Szene Scholz und Kuen die Gipfelsieger. Ich würde den Ausdruck gar nicht gebrauchen, aber sie sind es, weil sie glauben, dass die Messners niemals heil zurückkehren.

JOSEPH VILSMAIER: Ich habe diese Szene gar nicht als so heikel empfunden. Ich habe mir nur gedacht: So ist halt die Bergwelt - und nicht nur die. Als ich jung war im Filmgewerbe hat mir der Walter Sedlmayr gesagt: „Vilsmaier, merk' Dir eines in Deinem Leben: Zweiter ist nicht Erster!" Das habe ich mir gemerkt. Es ist doch im ganzen Leben so. Der Olympiasieger, der mit einer tausendstel Sekunde gewinnt. Der zweite kann sich seine Silbermedaille doch irgendwo hinstecken. Das ist furchtbar ungerecht, aber so ist das Leben. Und die Bergsteiger sind doch auch eine ganz besondere Rasse!

Seit wann fasziniert Sie deren Welt?

VILSMAIER: Ich habe im Radio schon 1953 von Hermann Buhls Nanga-Parbat-Erfolg gehört. Ich habe damals alles am Radio verfolgt, TV hat es ja noch nicht gegeben bei uns Zuhause.

Und wann haben Sie zum ersten Mal den Namen Messner vernommen?

VILSMAIER: In der Verbindung mit der Tragödie. Da kam die Erfolgsmeldung im Radio und dann die Nachricht, dass einer gestorben sei. Aber am Anfang wusste man noch nicht, wen es ereilt hatte.

Waren die Bergsteiger für Sie Helden oder Spinner?

VILSMAIER: Ich würde sagen, beides. Mit 25 Jahren hatte ich auch eine super Kondition und hätte so eine Verrücktheit vielleicht unternommen, wenn ich nicht so eine Höhenangst hätte. Aber als ich bei den Dreharbeiten vor dem Nanga Parbat stand, habe ich erst gemerkt, wie verrückt man dafür wirklich sein muss. Du stehst davor – und du gruselst Dich halt. Der Berg strahlt eine unglaubliche Gefährlichkeit aus. Und eine unglaubliche Schönheit.

Herr Messner, wann haben Sie Ihren ersten Vilsmaier-Film gesehen?

MESSNER: Das war die Anna Wimschneider, also „Herbstmilch". Und ich war fasziniert, weil ich aus dieser Welt komme. Den letzten vom Joseph, den ich gesehen habe, war der „Brandner Kaspar". Die Himmelszene dort habe ich nicht so goutiert, das gebe ich offen zu. Aber es gibt keinen deutschen Regisseur, der Menschen, die im Gebirge leben, mit ihrer speziellen Mentalität so genau versteht und besser zeigen könnte als der Joseph. Deswegen war er auch mein erster Anlaufpunkt. Ich wusste ja, dass man den Film nur machen kann, wenn man auch zeigt, wo diese Leute herkommen. Dafür braucht man Verständnis für die Mentalität dieser Bewohner.

VILSMAIER: Und ich musste den Reinhold noch besser kennenlernen, denn ich konnte den Film nur machen, wenn er dabei ist. Ich bin ein Außenstehender in der Bergwelt und habe den Reinhold vor allem am Nanga Parbat gebraucht wie das tägliche Brot. Wir kennen uns persönlich seit fünf Jahren, ich weiß jetzt, dass die Chemie stimmt.

Besonders gelungen ist die Atmosphäre bei der Inszenierung der Kindheit in Südtirol – eine Mischung aus Beklemmung und Idylle.

MESSNER: Das ist halt der Joseph!

VILSMAIER: Ja, wenn ich Gesichter sehe, dann läuft für mich ein Leben ab. Wir haben halt auch Glück gehabt, dass die Leute dort so mitgespielt haben. Die sehen halt so aus, da brauchst du ja gar nicht lang zu suchen und zu casten. Du siehst ihnen das harte Leben, die Schinderei einfach an. Mir war es wichtig, dass man durch diese Gesichter auch das Gefühl vermittelt, das die jungen Messners getrieben hat: Raus aus der Enge eines Tales, aus der Enge der dörflichen Gemeinschaft.

Schwieriger hingegen ist es, dem Laien die wahre Dimension der Rupalwand zu zeigen.

MESSNER: Ich finde schon, dass das hier im Film sehr gut klappt.

VILSMAIER: Die Dimension ist schlicht unfassbar. Man kann das Gefühl, die Gefährlichkeit und Wucht nicht ganz einfangen. Dazu müsste man ja mit der Kamera selbst in die Wand und hinauf.

Herr Messner, Sie waren etliche Male am und zwei Mal auf dem Nanga Parbat. Erschreckt Sie der Berg noch?

MESSNER: Doch, das ist immer noch so. Im Rückblick wird der Berg zwar kleiner, aber wenn man wieder davorsteht, ist man überwältigt. Ich bin noch nie zuvor am Nanga Parbat mit dem Hubschrauber geflogen und jetzt für den Dreh von einer Flanke zur anderen. Mein Sohn, der ein ausgezeichneter Kletterer ist, hat neben mir gesessen und hat sich nur gewundert: „Seid Ihr da wirklich rauf?"

VILSMAIER: Was ich im Film leider nicht darstellen kann, ist die Höhe, die dünne Luft. Das kann sich ja gar keiner vorstellen, der das nicht erlebt hat. Es gibt Unterdruckkammern, um diese Bedingungen zu simulieren. Ich habe dem Reinhold schon im Scherz gesagt: Da schicken wir jetzt alle rein, die ein Schmarrn über den Film schreiben.

Herr Vilsmaier, Sie haben einen Film über den schlimmsten persönlichen Schicksalsschlag von Reinhold Messner gedreht. Während des Drehs haben sie selber einen fürchterlichen Schicksalsschlag erlitten, den Verlust ihrer Frau Dana Vavrova.

VILSMAIER: Dazu sag’ ich nix, nur soviel: Die Arbeit an dem Film hat mir vielleicht auch geholfen, das zu verarbeiten. Aber wie es drinnen in mir ausschaut, das geht wirklich niemanden etwas an.

Was den Zuschauer von heute verwundert, ist die fast lächerlich anmutende Ausrüstung der Mannschaft am Nanga Parbat.

MESSNER: Es war damals halt noch mehr Abenteuer, als das jetzt der Fall ist.

VILSMAIER: Ihr habt ja gar keine Helme gehabt, nur Bommelmützen, als wärt ihr zum Schlittschuhlaufen auf den See gegangen. Aber wie hast Du doch immer gesagt am Nanga Parbat? „Wenn da was runterkommt, hilft Dir ein Helm auch nicht mehr."

MESSNER: Mich hat sehr beeindruckt, wie pingelig genau der Ausstatter gearbeitet hat. Es kam nichts hinein, was nicht aus der Zeit war, bis hin zur letzten Konservenbüchse. Ich bin überzeugt davon, dass die Kameraden, die noch leben, sagen müssen: Das ist genau so, wie es war.

VILSMAIER: Ich finde es toll, dass Reinhold unsere Arbeit jetzt so lobt, dabei wäre er doch der Erste gewesen, der uns auf Fehler hingewiesen hätte. Er ist der Genauere. Auch bei den Wandszenen. Wir haben den Berg mit dem Hubschrauber von verschiedenen Seiten aufgenommen. Ich bin beim Schnitt schon völlig durcheinandergekommen mit den Flanken. Ich habe dann immer gesagt: „Mei, es gibt doch nur ein paar Menschen, die das jetzt unterscheiden können." Aber das geht natürlich so nicht mit dem Reinhold.

Von Volker Isfort

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