Nah am Geist der Musik

Bei keinem der derzeit führenden Streichquartette rutscht das Publikum so vernehmbar auf die vorderste Kante der Bestuhlung im Prinzregententheater wie beim Hagen Quartett. Nie, das macht sein Spiel so aufregend, beschränkte sich die Koordination dieses Ensembles darauf, in einem gemeinsamen Atemzug anzufangen und zu schließen und sich dazwischen mikroskopisch aufeinander abzustimmen. Auch heute geht es nicht, wie bei anderen Quartetten, um orgelgleiche Geschlossenheit.
Was die drei Geschwister und ihr sozusagen adoptierter zweiter Geiger Rainer Schmidt wirklich interessiert, ist, was innerhalb dieses Rahmens passiert. In ihrem aktuellen Programm werden zwei im engeren Sinne klassische Quartette zum Austragungsort einer ganz unklassischen Experimentierfreude.
Auf engstem Raum prallen im Streichquartett op. 76/2 von Joseph Haydn ein extrem fragil gestrichenes tiefes Tutti, zu resoluten Akzenten gemachte Staccati, hervorgestoßene Keuchlaute, minutiös abgeschichtete Tenuti und leuchtende Höhen aufeinander. Das Unvereinbare wird nur zusammengehalten durch die motivische Strukturidee, die diesem Quartett den Beinamen "Quinten" gab. Auch die schnellen Tempi des Quartetts Nr. 15 von Wolfgang Amadeus Mozart nehmen die Hagens überraschend gemessen, als melancholische Andantes fast.
Unter einem Bogen
Ohne Vorwarnung - soviel zum Thema klassische Kompositionslogik - lichtet sich der Trauerflor, die Musik zerrinnt quasi unter den Fingern und macht einer ganz eigenen Stimmung Platz, die es so oder so ähnlich in der Natur nicht gibt. Und als ob das alles noch nicht wunderbar genug wäre, verschmelzen die vier Streicher diese auseinanderdriftenden Episoden unter einem sich zwanglos ergebenden Bogen, einem einzigen, doch irritierbaren Bewusstseinsstrom.
Die visionäre Klangwelt des Streichquartetts Nr. 14 von Ludwig van Beethoven in der exotischen Tonart cis-moll ist eigentlich über die ausgreifende Aufführungsdauer ohne Nachstimmen der Instrumente in absoluter Tonreinheit nicht zu bewältigen. Tatsächlich ergibt sich im Verlauf, weil man auf ein spannungstötendes Unterbrechen verzichtet, momentweise ein gewisser intonatorischer Hautgout, der sich am Ende der 40 Minuten beim Schlussakkord zu einer durchaus reizvollen Ahnung leichter Verstimmung ausgewachsen hat. Die Hagens betonen dieses grenzüberschreitende Moment Beethovens noch mit dem ungebändigten Freiheitsdrang, mit dem sie die einzelnen Stimmen gestalten. Näher kann man dem Geist dieser Musik nicht kommen.
Am 24. Februar gastiert das Quatuor Ébène mit Werken von Mozart und Grieg im Herkulessaal. Karten bei muenchen.hoertnagel.de und unter Telefon 98 29280