Nacht der Geständnisse
Im Residenz Theater inszenierte Thomas Langhoff „Ein Mondfür die Beladenen“
Hier haben alle den Blues. Selbst der September-Mond, der eigentlich zu einer großen Liebe einladen soll. Nach einer langen, alkoholgeschwängerten Nacht bleibt den Liebenden als einziges Glück nur ihr Verzicht aufs gemeinsame Glück. Jim, der abgehalfterte Broadway-Schauspieler, wird sich in New York zu Tode saufen. Josie, das großmäulige und großherzige Landmädel, wird auf der steinigen Farm in Connecticut mit ihrem cholerischen Vater schuften und versauern. Als melancholische Western–Ballade inszenierte Altmeister Thomas Langhoff im Residenz Theater Eugene O’Neills Schauspiel „Ein Mond für die Beladenen“. Das Premierenpublikum feierte Manfred Zapatka, der als schlitzohriger Vater Phil Hogan nach zehn Jahren erstmals wieder in München auf der Bühne steht, ebenso mit Bravos wie die glänzende Anna Schudt und Michael von Au als verhindertes Liebespaar.
Der Blues erklingt in den Szenenwechseln. Vor der rotweißgestreiften Hausmauer prangt eine riesige Breitwand-Werbetafel, drei Stufen stehen im Nichts, daneben ein Müllhaufen (Bühne, Kostüme: Stefan Hageneier). Irgendwo in der Prärie liegt Phil Hogans Farm, auf der es nur Sand und Steine gibt. Kein Wunder, dass auch Mike (Frederic Linkemann), Hogans jüngster Sohn, abhaut in die Stadt. Mit Hilfe seiner resoluten Schwester Josie, die – schlagfertig in jeder Hinsicht – als Einzige mit dem trunksüchtigen, gewalttätigen Vater fertig wird.
Er will keine billigen Flittchen mehr
Manfred Zapatka spielt Hogan als durchtriebenes Raubein, mit diebischem Spaß an Intrigen, Tricks und boshaften Spielen. Mit seinem Nachbarn Jim, von dem er die Farm gepachtet hat, pflegt er bei dessen Besuchen ein gestelztes Ritual, ehe er seinen Whisky rausrückt. Aber Phil Hogan kämpft auch ums Überleben. Er muss fürchten, dass Jim die Farm an den Ölmillionär Harder (Marcus Widmann mit einem komisch verstolperten Auftritt) verkauft, den Hogan nach Herzenslust demütigt.
Die Rettung wäre eine Heirat Josies mit Jim – dafür wollen ihn Vater und Tochter in der Mondnacht in die Falle locken. Doch gerade weil sich Jim und Josie wirklich lieben, können sie nicht zusammenkommen. Er, der lebensmüde, klarsichtige Schwerstalkoholiker mit Schuldgefühlen und Mutter-Trauma, will keinen schalen Sex mit billigen Flittchen mehr, doch er weiß, dass er Josie mit in seinen Abgrund reißen würde. Michael von Au zeigt einen verquälten Neurotiker, seltsam verdruckst, ohne das Charisma, das Jim als Schauspieler mal gehabt haben muss. Josie, die sich aus Selbstschutz gern als vulgäre Schlampe gibt, findet in dieser Nacht der Geständnisse von verzweifelter Leidenschaft zu liebender Entsagung: Mütterlich wiegt sie den Schlafenden in ihren Armen – eine Pietà. Anna Schudts Josie überstrahlt alles mit einer wunderbaren Mischung aus Ruppigkeit, Verletzlichkeit und Herzenswärme.
Regisseur Thomas Langhoff scheut weder Naturalismus mit Gartenschlauch, Holzprügel und Unterwäsche-Overall noch drastische Komik. Und doch haftet der Aufführung eine gewisse Zähigkeit an. Vor allem die Männer dürften mehr auftrumpfen, mehr Eruptionen und Extreme zeigen. Ihre innere Befindlichkeit, die sie auf der Bühne überspielen, zeigen die Figuren in eingefrorenen Tableaux auf der Plakatwand – da gerinnt die große Tragödie der kleinen Leute zu Bildern voller Trauer und Einsamkeit.
Gabriella Lorenz
Residenz Theater , 3., 4., 15., 17., 19. Juni, 20 Uhr, Tel.21851940