Nach Nerdinger-Interview: Es rumort in der Akademie der Schönen Künste

In der Akademie der Schönen Künste rumort es nach einem Interview des Präsidenten Winfried Nerdinger.
von  Robert Braunmüller
Winfried Nerdinger ist Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Winfried Nerdinger ist Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. © picture alliance / dpa

Kritische Stimmen verschwinden schnell aus der Öffentlichkeit", sagte Winfried Nerdinger der "Süddeutschen Zeitung". In deren Freitagsausgabe klagte der Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste über den geringen Wert des Ästhetischen in der Coronakrise.

Nerdinger lobte die #allesdichtmachen-Aktion

Die heftige Kritik an der Aktion #allesdichtmachen habe ihn "sehr betroffen gemacht". Er fände den Großteil der Videos "ganz ausgezeichnet".

Nerdinger übte auch scharfe Kritik an der staatlichen Corona-Politik im Kulturbereich. Die "Würde des Menschen" werde aus Sicht der Politik zuallererst durch den "Friseur" wiederhergestellt, kritische Stimmen würden "niedergebügelt".

In einigen Jahren, "wenn die Pandemie wissenschaftlich nüchtern untersucht und analysiert worden ist, wenn Fehler und Fehleinschätzungen evident geworden sind, werden manche kritischen Stimmen von heute ein anderes Gewicht erhalten", so Nerdinger.

Protest aus den Reihen der Akademie

Gegen dieses Interview regt sich nun Protest aus den Reihen der Akademie. Friedrich Ani, Moritz Eggert, Lena Gorelik, Sibylle Lewitscharoff, Jonas Lüscher, Albert Ostermeier, Hans Pleschinski und andere Mitglieder verwahren sich in einem Beitrag der "FAZ" dagegen, dass "Herr Nerdinger sein Amt und den Namen der Akademie dazu nutzt, persönliche Meinungen zu vertreten, die ausschließlich die seinen sind."

Der Präsident spreche nicht für die Akademie. "Wir halten seine Äußerungen in mehreren Passagen für verantwortungslos und lehnen es ab, als Akademiemitglieder damit in Verbindung gebracht zu werden."

Die Unterzeichner des Briefs verwahren sich gegen die Pauschalkritik an den Medien und den dünkelhaften Ton von Nerdingers Äußerungen. "Wir sind durch die Kunst nicht moralisch überlegen", heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Text.

Kritik am Präsidenten der Akademie

"Wir sind nicht gekränkt, wenn wir alle unter der Kontaktbeschränkung zuerst an die Bäckerei oder den Kindergarten denken, und nicht an den Besuch von Lesungen oder Akademien."

Die Unterzeichner wenden sich gegen Nerdingers Behauptung, Kritiker würde zum Verstummen gebracht. "Herr Nerdinger tut so - in einer Zeitung, die ihm eine halbe Seite dafür einräumt - als müssten wir alle vor einer Regierung niederknien, die uns mundtot macht. Von welchem Staat redet er?"

Vergleich zwischen Holocaust und Corona-Politik?

Scharf kritisiert wird auch Nerdingers Absicht einer Corona-Publikation mit dem peinlichen Titel "Es ist Zeit, dass es Zeit wird", der einem Gedicht von Paul Celan entliehen ist. "Hat Herr Nerdinger vergessen, welche Erfahrungen Celan geprägt haben?", heißt es in dem Brief mit Blick auf den Holocaust.

"Oder will er ernsthaft die Corona-Politik damit in Verbindung bringen? Sollen wir glauben, dass er jeden sprachlichen Maßstab für Kritik verloren hat?".

Weder taktvoll noch souverän

Nerdinger war vor seiner Wahl zum Präsidenten der Akademie Gründungsdirektor des NS-Dokuzentrums. Sollten ihm in der Coronakrise wirklich die Maßstäbe derart verrutscht sein?

Man will es kaum glauben. Allerdings agierte Nerdinger bereits in der Affäre um die Festschrift für das verurteilte Ex-Mitglied Siegfried Mauser weder besonders taktvoll noch souverän.

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