"Mythos Spanien - Ignacio Zuloaga" in der Kunsthalle: Die Wahrheit geht kostümiert

Ignacio Zuloaga war auf der Suche nach der "spanischen Seele" und hat einen Mythos geschaffen. Der spukt bis heute durch die Köpfe - und wird in der Kunsthalle mit famosen Bildern beleuchtet
von  Christa Sigg
Ein Ritter der allertraurigsten Gestalt gibt mit seiner Schindmähre "Das Opfer der Fiesta", 1910. Ignacio Zuloaga hat mit dem über drei Meter breiten Gemälde für erbitterte Debatten gesorgt, denn so wollten sich die Spanier nicht sehen. Das Bild hängt normalerweise in New York in der Hispanic Society - als Leihgabe des Museo de Bellas Artes de Bilbao.
Ein Ritter der allertraurigsten Gestalt gibt mit seiner Schindmähre "Das Opfer der Fiesta", 1910. Ignacio Zuloaga hat mit dem über drei Meter breiten Gemälde für erbitterte Debatten gesorgt, denn so wollten sich die Spanier nicht sehen. Das Bild hängt normalerweise in New York in der Hispanic Society - als Leihgabe des Museo de Bellas Artes de Bilbao. © Arte Ederren Bilboko Museoa. The Hispanic Society Museum & Library, New York

Das Knarzen der Knochen meint man förmlich zu hören. Völlig entkräftet trägt eine Schindmähre ihren frustriert vor sich hinstierenden alten Picador nach Hause. Blutig war der letzte Kampf, das sieht man den beiden an. Im wahrsten Wortsinn ist hier ein Bild des Jammers ausgebreitet und zugleich ein Statement von imposantem Ausmaß, mit dem Ignacio Zuloaga 1910 einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat. Seinen Landsleuten war sofort klar, dass dieser Ritter von der traurigen Gestalt nicht nur für einen verlorenen Stierkampf steht - jetzt dominiert das Gemälde den zentralen Saal der Kunsthalle München und bringt Dilemma und Qualität dieses Malers fulminant auf den Punkt.

"Mythos Spanien" lautet der Titel in plakativer Kürze, tatsächlich war es vor allem Ignacio Zuloaga, der mit seinen Toreros und Flamenco-Tänzerinnen für ein Image gesorgt hat, das bis heute durch die Köpfe geistert. Mit diesem Personal feierte er seine größten Erfolge, teils mit seltsamen Blüten: Als Zuloagas Werke 1924 in New York ausgestellt wurden, waren bald sämtliche Hochsteckkämme ausverkauft. Die Amerikanerinnen wollten aussehen wie "waschechte" Spanierinnen.

Es waren aber gerade auch die Künstlerkollegen und Literaten, die von den feurigen Klischees nicht genug bekommen konnten. Das reicht vom jungen Rainer Maria Rilke, der 1900 "vom Reichtum der geblümten Kleider mit geheimnisvollen Schleiern" schwärmt, bis zu Paul Klee und August Macke, dem u. a. Zuloaga aus der Krise auf den richtigen künstlerischen Weg geholfen habe. Paula Moderssohn-Becker bringt in ihren Beschreibungen dann auch gleich das "Mysterium" ins Spiel.

Der Künstler lässt sich in Sevilla sogar zum Torero ausbilden

Zuloaga traf einen Nerv der Zeit, besonders in Frankreich, das seit Prosper Merimées "Carmen"-Novelle von 1845 und in der Folge Georges Bizets Oper in eine regelrechte Hispanomanie geraten war. Entziehen konnte sich kaum einer, das demonstrieren Édouard Manets Stierkämpferin und der salutierende Matador, die sich freilich an Diego Velázquez orientieren.

Auch Zuloaga blickt im Grunde von außen auf dieses Spanien. Der 1870 im baskischen Eibar geborene Sohn eines angesehenen Kunstschmieds hatte eine französische Schule besucht, eine Französin geheiratet und lange in Paris gelebt. Dort verkehrte er in Künstlerkreisen um Rodin, Gauguin, Degas oder Eric Satie. Er porträtierte die Haute Volée, malte Café- und Straßenszenen, anfangs in Anlehnung an die Naturalisten und Impressionisten. Doch die flirrende Weltstadt mit ihren Flaneuren und Bonvivants ist nicht sein Terrain.

Vielmehr sucht Zuloaga das Ursprüngliche, Ehrliche, das er Mitte der 1890er Jahre in Sevilla zu finden glaubt. Er befreundet sich mit Gitanos, den spanischen Roma, lässt sich sogar zum Torero ausbilden, um der "Seele Spaniens" ganz nahezukommen. Dennoch ist es für Zuloaga am Ende das raue, karge Kastilien, das "Spanien erschuf und unser Innerstes" - und auf das man sich nach dem jahrhundertelangen kolonialen Wahnsinn konzentrieren sollte.

1898 zieht er nach Segovia im Nordwesten Madrids, im selben Jahr hat Spanien den Krieg gegen die Vereinigten Staaten verloren - und damit Kuba und die Philippinen. Das Land ist am Boden, doch in der Besinnung auf die Natur und die Traditionen versprechen sich Zuloaga und die Literatengruppe "Generation von 98" um José Ortega y Gasset eine heilsame Neuorientierung. Die "Künftigen Idole" sind junge Toreros, die sich in farbintensiven, leuchtenden Gewändern deutlich von ihrem Hintergrund mit der alten Burg über Turégano abheben. Und selbst wenn die Burschen ein bisschen gockeln und sich in Pose werfen, geht es Zuloaga nie um den Kampf an sich, sondern um die Charaktere, deren leise Anspannung und genauso das Umfeld. Den befreundeten Juan Belmonte, der als "Philosoph des Stierkampfs" galt, zeigt er 1924 vor düster bedrohlichem Himmel.

Der ausgemergelte Francisco wird ein Lieblingsmodell

Helden sehen anders aus. Deshalb hatte schon das eingangs erwähnte "Opfer der Fiesta" Zuloagas Landsleute auf die Palme gebracht. Seine Malerei wurde überhaupt als unpatriotisch kritisiert, den Niedergang, die Armut, das Provinzielle wollte man nicht auch noch auf Gemälden betrachten. Zumal Zuloaga, der mit Automobil und Fotoapparat durch die Gegend fuhr, seine Lieblingsmodelle unter den Landarbeitern fand. Der ausgemergelte Francisco etwa verleiht mit seinen markanten Zügen jeder Figur eine fast ins Karikative kippende Prägnanz, vom müden Picador bis zum Kardinal in umwerfend roter Soutane (1912).

Ist alles Maskerade? Verkleidung? Oder doch Welttheater? Und was erzählen die kokottenhaft überschminkten Gesichter der lächelnden Cousinen? Zuloaga pflegt eine raffinierte Ambivalenz und gleitet dabei anspielungsreich durch die alte Kunst Spaniens. Velázquez und Goya dienen ihm als Vorbilder, El Greco ist für seine religiöse Malerei ein Fixstern, gerade in der Übersteigerung. Zuloaga hat viel unternommen, diesen eigenwilligen Meister wieder ins Blickfeld der Künstler zu rücken. Wahrscheinlich sind sich die beiden näher, als man meinen möchte. Übrigens auch hinsichtlich des öffentlichen Zuspruchs.

International war Zuloaga längst ein Star, als er mit weit über 50 endlich Anerkennung im eigenen Land fand: Im Madrider Círculo de Bellas Artes wurde ihm 1926 die erste Einzelausstellung in Spanien ausgerichtet. Zehn Jahre später, nach dem Militärputsch im Juni 1936, versuchte Franco, ihn zu instrumentieren - gegen den bösen Fortschritt und das Schreckgespenst der Moderne. Als die Franquisten im April 1937 Zuloagas Heimatort Eibar und das Geburtshaus in weiten Teilen zerstörten, schob man das Desaster den Kommunisten in die Schuhe. Und der Maler ließ sich blenden.

Erst galt Zuloaga als unpatriotisch, dann umwarb ihn Franco

Das Verhältnis zu den Faschisten war jedenfalls komplex und nicht frei von Manipulationen, Zuloaga kein Einzelfall unter den Künstlern und Intellektuellen, wenngleich die anfängliche Begeisterung bald der Enttäuschung wich. Dass Franco im Juli 1939 drei seiner Gemälde Adolf Hitler wohl als Dank für die Entsendung der Legion Condor übergab, ist ein gruseliges Detail dieser Vereinnahmung und hat sich auch auf die Rezeption ausgewirkt. Zuloaga sollte den spanischen Diktator mehrmals porträtieren. Auf dem bekanntesten, nicht mehr öffentlich zugänglichen Bildnis von 1941 - mit roter Flagge vor felsiger Landschaft - blickt Franco etwas unbedarft in die Ferne. Man könnte an Goyas wenig schmeichelhafte Darstellungen der königlichen Familie denken, und wer weiß, wie sehr sich der eigentlich liberale Zuloaga gegrämt hat. Im Oktober 1945 starb er mit 75 Jahre an den Folgen eines Herzinfarkts. Es ist Zeit, dieses erstaunliche Œuvre neu zu erkunden.

"Mythos Spanien", bis 4. Februar 2024 in der Kunsthalle München, täglich von 10 bis 20 Uhr, Katalog (Deutscher Kunstverlag, 224 Seiten, 35 Euro in der Kunsthalle)

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.