Mythos einer Monströsen
In der Staatsoper hat heute Gaetano Donizettis „Lucrezia Borgia“ Premiere. Christof Loy inszeniert. Alle Vorstellungen sind dank Edita Gruberova bereits ausverkauft.
Die Staatsoper bleibt katholisch: Nach Pfitzners „Palestrina“ mit Kardinälen und Klerikern beherrscht nun Edita Gruberová als intrigante Papst-Tochter die Bühne. Die Sopranistin gab keine Interviews. Dafür erklärt ihr Regisseur Christof Loy, was ihn an dieser Belcanto-Oper nach Victor Hugos Schauerdrama anzieht.
AZ: Herr Loy, passt „Lucrezia Borgia“ eigentlich zum Rosenmontag?
CHRISTOF LOY: Immerhin spielt der Prolog im venezianischen Karneval. Wenn später zweimal Mörder und Schergen auftreten und unverrichteter Dinge die Bühne wieder räumen, sind Offenbach und der mittlere Verdi nahe. Auch in „Lucrezia Borgia“ gibt es diese Verschränkung des Tragischen mit dem Grotesken. Für diesen Versuch, die Welt umfassend darzustellen, fand ich eine einfache Shakespeare-Bühne besonders einladend.
Mit der Titelfigur verbindet jeder Gift, Inzest und einen hohen Männerverbrauch.
Die neuere Geschichtsschreibung ist vorsichtiger, aber das hilft bei der Inszenierung nicht weiter. Donizettis Oper lebt vom Mythos dieser monströsen Figur.
Liebt sie ihren Sohn Gennaro inzestuös?
Lucrezia Borgia fürchtet, ihr Sohn würde sie nicht lieben, wenn er wüsste, wer sie ist. Sie will Zuneigung von einem Menschen, gegenüber dem sie sich nicht öffnen kann. Das ist ihr Dilemma. Anfangs dachte ich, dieses Paar wäre mit Jokaste und Ödipus vergleichbar. Das ist nicht der Fall. Lucrezia erhofft sich von Gennaros Gefühlen eine Reinwaschung, nach der sie bei Null anfangen kann. Da lehrt die Oper allerdings: Wer verschweigt, gewinnt nichts.
Die Figuren schlucken Gift und Gegengifte wie Wein. Droht unfreiwillige Komik?
Ich habe nicht versucht, das zu erklären und zu glätten. Man sollte die Welt auf der Bühne nicht logischer machen, als sie ist. Diese Szenen bleiben Kolportage. Das Stück ist Kindertheater für Erwachsene, und da sind solche Szenen möglich.
Mit der Hosenrolle des Maffio Orsini haben Sie dann kein Problem.
Ich finde wichtig, dass es in diesem Stück nur eine Frauenfigur gibt. Die Mezzosopranistin Alice Coote verkörpert perfekt eine zweideutige Geschlechtlichkeit. Die Figur ist für mich auch weniger kumpelhafter Freund als ein Todesengel, der Gennaro mit dunkler Energie in die engere Begegnung mit der Borgia treibt.
Seit „Roberto Devereux“ gelten Sie als Gruberova-Versteher, der die Sänerin als Darstellerin wach geküsst hat.
Diese Inszenierung hat ein starkes Vertrauen zwischen uns geschaffen. So genau, wie sie die Koloraturen gesangstechnisch durchdenkt, setzt sich Edita Gruberova mit den psychischen Prozessen der Figur auseinander. Diese Präzision kann ich mit meiner Fantasie speisen. Sie hört nicht nur zu, was ich sage, sondern prescht auch vor und versucht, jüngere Kollegen mitzureißen. Wir beide haben Lust auf eine dritte Zusammenarbeit. Das wird nicht in München sein, so gern ich hier bin.
Sie hatten eben kurz hintereinander Premieren in Frankfurt und St. Gallen. Das klingt nach Regiefabrik?
In beiden Fällen wurden Produktionen verkauft. Manche Theater sind darauf finanziell angewiesen, deshalb will ich das nicht verbieten. „Pique Dame“ in St. Gallen wurde von einem Assistenten einstudiert, bei „Arabella“; habe ich das Stück mit den Solisten gearbeitet und die Schlussproben einem Mitarbeiter überlassen. Das wusste aber das Publikum. „Lucrezia Borgia“ ist etwas völlig anderes. Dafür war ich sechs Wochen hier.
Besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich verschleißen?
Ab November lege ich eine fünfmonatige Pause ein. Ich will einem Burnout vorbeugen und mache anschließend weniger.
Robert Braunmüller
Premiere heute, 19 Uhr; auch am 28. 2., 5./10./15. 3. Alle Vorstellungen sind ausverkauft.
Die historische Lucrezia Borgia
Ihr Vater war der für seine Weltlichkeit berüchtigte Papst Alexander VI., der ältere Bruder Cesare eroberte als Feldherr des Kirchenstaats die Romagna. Nach dem jähen Ende seines politischen Höhenfluges setzte Macchiavelli ihm in der Schrift „Il principe“ ein Denkmal.
Die erste Ehe der 1480 in Rom geborenen Papsttochter wurde aus machtpolitischen Gründen für ungültig erklärt, die zweite wegen angeblicher Impotenz des Gatten Giovanni Sforza. Er behauptete aus Rache, dass der Papst und Cesare nur ungestört Blutschande mit Lucrezia treiben wollten.
Ihr dritter Mann wurde wohl im päpstlichen Auftrag ermordet. Dann heiratete Alfonso d’Este für eine riesige Mitgift die unehliche Papsttochter. Am Hof von Ferrara versammelte Lucrezia berühmte Künstler, Schriftsteller und Gelehrte. Sie lauschte Fastenpredigern und trug als Mitglied des Dritten Ordens der Franziskaner unter Prachtgewändern ein härenes Habit. 1519 starb sie nach der Geburt ihres neunten Kindes. Danach bemächtigte sich die üble Nachrede dieser Frau. Victor Hugo fügte 1833 das Motiv des Giftmords hinzu. Seine Tragödie ist die Vorlage für Gaetano Donizettis Oper, die im gleichen Jahr an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde.
RBR
Alois Uhl, „Lucrezia Borgia“, Artemis & Winkler, 248 S., 19.90 Euro