Mysterium Bob Dylan
Politaktivist, Katholik, Poet, Seher oder einfach Volkssänger: Christian Jooß, AZ-Popkritiker, gratuliert Bob Dylan zum Geburtstag.
„Hurricane“, „Desolation Row“, „The Wicked Messenger“ – ich liebe Bob Dylans Musik, aber ich bin zu spät geboren, um ihn in der Chronologie seines Schaffens gehört zu haben. Über die Jahre haben mich seine Wortbilder, untrennbar verbunden mit seiner Stimme, begleitet. In jeder Lebensphase schienen sie mir eine andere Bedeutung zu haben.
Für die Chinesen ist Dylan heute noch eine Ikone des Widerstandes. Ironischerweise war er schon in den 60ern genervt von der Vereinnahmung durch die Gegenkultur. 1965 überfuhr er beim Newport Festival sein Publikum mit dem Donner der E-Gitarre. Ende der 70er strapazierte er mit Erweckungsbotschaften. Erwartungshaltung und Moden scheitern an ihm. Dass Dylan, der heute 70 wird, den Lebenssoundtrack für Millionen geschrieben hat, liegt auch daran, dass er geblieben ist, was Stars im Zeitalter der digitalen Allzeitoffenbarung nicht mehr schaffen: ein Geheimnis. Ein Mann, der im schwarzen Nightliner in deine Stadt rauscht, ohne Lächeln auf die Bühne tritt, um sich dann wieder aufzulösen.
50 Jahre ist es her, dass der Junge aus Minnesota, angetrieben von der Beatnik-Stimmung nach Greenwich Village kam und dort noch einmal seinen Helden Woody Guthrie besuchte. Politaktivist, Katholik, Poet, Seher – jeder hat sein Bild von Dylan, der doch immer eins war: ein Volksmusiker, der, während er über die Schulter zurück blickt, nach vorne schreitet, als singender Dichter unseres Lebens.