Mutlos auf halber Strecke

Stadtteilkultur absurd:Die Münchner Philharmoniker geben ein Gratiskonzert im Prinzregententheater und verschweigen es
von  Robert Braunmüller

Stadtteilkultur absurd: Die Münchner Philharmoniker geben ein Gratiskonzert im Prinzregententheater und verschweigen es

Auch in dieser Zeitung wurde mehr als einmal gefordert, die Münchner Philharmoniker möchten ihren Werbespruch vom „Orchester der Stadt” endlich mit mehr Leben erfüllen. Einmal im Jahr wäre es weise, von den Höhen des Gasteig herabzusteigen und auf jene Leute zuzugehen, die mit ihren Steuergeldern die bürgerliche Hochkultur mitfinanzieren, sich aber leider nicht in die Philharmonie hineintrauen.

Am Sonntag startet eine neue Reihe: „Die Münchner Philharmoniker vor Ort”. Aber von einem Orchester, das sein altes Jugendprogramm mit riesigem Werbeaufwand als Novität verkauft und Beethoven gemütlichen älteren Herren anvertraut, um die eigene Gemütlichkeit nicht zu stören, sollte man nicht zuviel Risikofreude erwarten.

Und so trauen sich die Philharmoniker nicht etwa nach Neuperlach, sondern nur bis Bogenhausen: Am Sonntag um 11 Uhr dirigiert der lettische Feuerkopf Andris Nelsons Joseph Haydns Symphonie Nr. 90, Richard Wagners Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde” mit Lioba Braun als Solistin sowie die Tondichtung „Ein Heldenleben” von Richard Strauss im Prinzregententheater.

Es ist nun nicht so, dass die Türen des Hauses aufgemacht werden und jeder hinein darf, bis der Saal voll ist. Für so viel Mut langt es nicht. Die Karten sind zwar gratis, wurden aber längst an die philharmonischen Abonnenten verteilt. Damit ihnen niemand die Plätze neidet und von dem Konzert erfährt, wird es auf der Homepage des Orchesters wie auf jener des Theaters schamhaft verschwiegen. Weil Nelsons erst im Dezember zugesagt habe, sei es technisch nicht anders möglich gewesen, die Karten angemessen unter die Leute zu bringen und für ein volles Haus zu sorgen.

Spätestens an diesem Punkt langt man sich an den Kopf. Es gibt das Internet, Leute! Tatsächlich geht es den Philharmonikern auch gar nicht um die Stadtteilkultur. Sie suchen einen neuen Chef für die Zeit nach den drei Jahren unter Lorin Maazel. Da ist Andris Nelsons ein heißer Kandidat, den die Philharmoniker kennenlernen wollen. Auch beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gilt der Schüler von Mariss Jansons als denkbarer Nachfolger für seinen Lehrmeister, weshalb sich dort die Begeisterung für den Ausflug des Dirigenten in Grenzen hält.

An Nelsons-Auftritten ist übrigens in München kein Mangel: Er dirigiert heuer ein Sonderkonzert sowie den Auftritt bei „Klassik am Odeonsplatz” der Mannen des BR und gastiert auch noch mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra im Gasteig. Und apropos „vor Ort”: München ist keine Stadt stillgelegter Zechen. Aber dort, wo solche in der Gegend herumstehen und die Sprache der Bergleute angemessen wäre, haben die Orchester erheblich mehr Fantasie bei der Öffnung des Konzertbetriebs und der Erfindung neuer Formate als jener Weltklasseklangkörper, der die Nase zu hoch trägt, um für alle Leute einmal im Jahr in einem Stadtteilkulturzentrum gratis zu spielen.

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