Kritik

Zwei neue Alben von Neil Young

Ein Live-Album ohne Publikum und eine Hommage an die eigene Vergangenheit
von  Dominik Petzold
Der kanadische Musiker Neil Young.
Der kanadische Musiker Neil Young. © picture alliance / dpa

Neil Young will der Welt nichts, aber wirklich gar nichts von seiner Musik vorenthalten. Auf seiner Website kann man tausende Aufnahmen hören, und zuletzt brachte er physische Alben in einer solchen Menge heraus, dass man leicht die Übersicht verliert: Seit 2021 hat er 13 Alben veröffentlicht, die meisten mit Archivmaterial.

Nun ist das 14. Album "Before And After" hinzugekommen: Aber die Aufnahmen sind neu, und doch blickt der 78-Jährige auch hier auf ältere Stücke seines riesigen Werks.

Das Album ist darüber hinaus auch schrullig

Aufgenommen hat er sie offenbar auf einer Solo-Tour durch die USA in diesem Sommer. Da spielte Young fast ausschließlich unbekannte Songs, die ihm am Herzen liegen und die er der Vergessenheit entreißen will. Auf dem Album wurde der Applaus des Publikums herausgemischt, an manchen Stellen war das aber offenbar nicht möglich, ganz leise hört man irritierende Schnipsel jubelnder Zuschauer. Trotzdem bleibt etwas nebulös, ob alle Songs auf der Bühne aufgenommen wurden. Young begleitet sich selbst mit Akustikgitarre, Klavier und Harmonium: Und wo bitteschön kommt da bei "When I Hold You In My Arms" das E-Gitarren-Solo her?

Der kanadische Sänger Neil Young.
Der kanadische Sänger Neil Young. © picture alliance/dpa/epa

Das Album ist auch darüber hinaus schrullig. Young lehnt Streaming bekanntlich ab - auf Spotify ist seine Musik nicht mehr zu hören -, und besonders der Shuffle-Modus ist ihm ein Graus, bei dem die Lieder in beliebiger Reihenfolge ausgespuckt werden. Auf "Before And After" gehen deshalb alle Stücke nahtlos ineinander über, das Album soll von Anfang bis Ende am Stück gehört werden.

Elegant sind diese Übergänge aber nicht, die Song-Enden werden einfach abrupt abgeschnitten, bevor in das nächste Stück überblendet wird. Und rätselhafterweise kann man auf der CD die einzelnen Stücke frei anwählen - und somit am CD-Player, wenn man frech ist, den Shuffle-Modus einstellen, den nicht erst die Streamer erfunden haben.

Standards und neue Songs

Abseits all dieser Kauzigkeiten aber ist das Album hörenswert. Die Auswahl von Youngs Song-Favoriten ist gut nachvollziehbar, ob bei den frühen, besonders schönen Buffalo-Springfield-Perlen "Burned" und "On The Way Home" oder "My Heart" und "I'm The Ocean" aus den mittleren Neunzigern. Auch neue Songs sind dabei, die Schlussnummer "Don't Forget Love" erschien erst 2021 auf "Barn". Neben all diesen recht unbekannten Stücken stehen mit "Comes A Time" und "Mr. Soul" nur wenige Standards seines Repertoires.

Young singt all diese Songs aus sieben Jahrzehnten mit der dünner gewordenen Stimme eines Mannes, der schon lange nicht mehr jung ist. Und genau deshalb ist vieles anrührend. "I feel like I died and went to heaven", heißt es in "A Dream That Can Last": Es erschien erstmals 1994 auf "Sleeps With Angels", als Young kurz vor seinem 50. Geburtstag stand. Drei Jahrzehnte später entfaltet es eine ganz andere Wirkung.

Neil Young spielt während des Konzerts zum Tourauftakt seiner Europa-Tour bei den Filmnächten am Elbufer.
Neil Young spielt während des Konzerts zum Tourauftakt seiner Europa-Tour bei den Filmnächten am Elbufer. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Doch der bald 80-Jährige, der hier auf ein gelebtes Musikerleben zurückblickt, ist ein Jungspund im Vergleich zu dem Mann, mit dem er das Album produzierte: Der legendäre "The Mamas & The Papas"-Produzent Lou Adler ist stolze neunzig Jahre alt. Und nach vielen Jahrzehnten in der Musikzene von L.A. sind er und Young inzwischen verwandt: Letzterer feierte 2018 Hochzeit mit Schauspielerin Daryl Hannah, Adler ist mit deren jüngeren Schwester Page Hannah verheiratet.

Das Album, das die Schwäger nun gemeinsam produziert haben, ist, bei aller Qualität der Songs, vor allem Fans von Neil Young zu empfehlen. Für ein breiteres Publikum könnten die rein akustischen Aufnahmen auf Dauer etwas karg sein. Anders ist das bei einem Album, das in Neil Youngs Veröffentlichungsflut gerade wieder auftauchte: "Harvest Moon" von 1992 ist in einer edlen, sehr gelungenen Edition als transparentes, bedrucktes "Clear Vinyl" erschienen.

Der warme Sound einer schönen, neuen "Clear Vinyl"-Edition

Mit dem Album knüpfte er damals stilecht an seinen zwanzig Jahre zuvor erschienenen größten Album-Hit "Harvest" an. Auf den ruhigen Songs von "Harvest Moon" spielte Young nur Akustikgitarre, begleitet wurde er wieder von den großartigen Stray Gators mit den legendären Musikern Ben Keith, Spooner Oldham, Tim Drummond und Kenny Buttrey. Auch die Background-Sänger von 1972 waren wieder dabei, darunter die Stars James Taylor und Linda Ronstadt, und Jack Nitzsche arrangierte mit "Such A Woman" abermals eine Orchester-Partitur.

Das Album reichte zwar an das Vorbild nicht ganz heran, gelungen war es aber allemal. Young hatte ein paar starke Songs auf Lager, vor allem den Titelsong sowie "From Hank To Hendrix" und "You And Me". Der Sound unterschied sich von den frühen Siebzigern zwar durch den sehr intensiven Hall, dennoch klang diese besondere Kombination aus Sängern und Musiker wieder toll. Und auf dem warmen Sound der "Clear Vinyl"-Edition, die der CD-Pressung aus den Neunzigern überlegen ist, kommt das besonders zur Geltung.

Neil Young: "Before And After" (als LP, Clear-Vinyl-LP, Blu-Ray-Disc, CD und online unter neilyoungarchives.com) und "Harvest Moon" (Limited Edition Clear Vinyl, bei Reprise Records)

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