Zubin Mehta: Finale mit Brahms
Wir leben in nervösen, und reizbaren Zeiten. Altersweise Gelassenheit, wie sie Zubin Mehta und die Münchner Philharmonikern beim gemeinsamen Brahms-Zyklus gegenwärtig verbreiten, mag da ein heilendes Gegengewicht bilden. Das Orchester leuchtet spätherbstlich golden, die Musik fließt ruhig dahin, keine Grellheit, keine Grimasse stört den musikalischen Frieden.
Beim Klavierkonzert Nr. 1 stößt diese Haltung an Grenzen. Sie steht letztendlich auch quer zur Musik. Bei Mehta ist der trotzig-schroffe Beginns nur noch die ferne Erinnerung an längst verrauchte Wut. Und da wirkt es letztlich konsequent, wenn die Streicher über die eigentlich unmissverständlich auf Zornesblitze zielenden Staccato-Punkte der aufsteigenden Geste des Beginns recht glatt hinwegspielen.
Ohne Aufbegehren
Auch der Solist Yefim Bronfman ist kein Freund von Konflikten. Sein Klavierspiel ist kraftvoll und perfekt. Aber er legt in die Akkord-Kaskaden und Trillerorgien kein Aufbegehren hinein. Lyrisches, wie das zweite Thema des Klaviers, könnte bisweilen mehr Ausdruck vertragen. Und weil Mehta und Brofman beide am Drama eher uninteressiert bleiben, wirkt die letzte Steigerung am Ende des ersten Satzes ein wenig beiläufig.

Das Adagio kommt dem Ruhebedürfnis der Interpreten mehr entgegen, das gelöste Finale ebenfalls. Und so bleibt ein unbefriedigender Rest: Mehta und Bronfman scheuen bei diesem Konzert eine Interpretation und beschränken sich auf eine bloße Wiedergabe. Bei der Zugabe, einer Humoreske von Robert Schumann, demonstrierte Bronfman, dass er auf Anfrage auch mehr drauf hätte wie wohlwollend-freundliche Neutralität.
Mehr Risiko wagen
Bei der Aufführung der Symphonie Nr. 4 erweist sich die Zurückhaltung als Gewinn an Vielfalt. Die riesige Orchesterbesetzung betont das Weiche und Geschmeidige der Musik. Mehta achtet auch auf Mittel- und Nebenstimmen, Tempo-Übergänge - etwa im langsamen Satz - lässt der 87-jährige Dirigent fast unmerklich geschehen. Das Allegretto giocoso strahlt verhalten, das Thema des Finales setzt danach erstaunlich zurückhaltend ein. Das irritiert anfangs. Aber Mehta gelingt es, nicht nur die Spannung über das souverän und klanglich opulent gespielte Flötensolo hinaus zu halten und den Schluss erst dann vom Forte zum Fortissimo zu steigern.
Danach, wie bei den anderen Konzerten des Zyklus: stehende Ovationen. Dem soll auch nicht widersprochen werden. Das Problem ist nur die mangelnde Vielfalt an Brahms-Deutungen in dieser schönen Stadt. Überall wird nur dem traditionellen, opulenten, klangsatten und gut gepflegten Brahms gehuldigt - bei den Philharmonikern wie dem BR-Symphonieorchester, dessen gleichzeitige Aufführung der vier Symphonien unter der Absage des Dirigenten Herbert Blomstedt litt.
Mehr Vielfalt würde nicht schaden
Bei beiden Orchestern hat sich leider die Auffassung verfestigt, man könne Komponisten wie Brahms nur Dirigentinnen und Dirigenten jenseits der 60 anvertrauen. Erfahrung ist zwar viel, aber auch nicht alles. Und es gibt auch andere Sichtweisen auf Brahms jenseits üppigen Schwelgens. Da wäre allen Beteiligten mehr Lust an der Neugierde und dem Risiko zu wünschen. Die Akustik der Isarphilharmonie, in der kleinere Besetzungen viel besser wirken wie im Gasteig, liefert eigentlich beste Voraussetzungen für neuere, produktive Ansätze im Umgang mit dieser Musik, die auch einmal jung und neu war.
- Themen:
- Münchner Philharmoniker