Yannick Nézet-Séguin und Yuja Wang im Gasteig

Yannick Nézet-Séguin dirigiert in der Philharmonie das Rotterdam Philharmonic Orchestra, die Pianistin Yuja Wang spielt Rachmaninow
von  Michael Bastian Weiß
Die junge chinesische Pianistin Yuja Wang.
Die junge chinesische Pianistin Yuja Wang. © Deutsche Grammophon

Wenn Yuja Wang sich während des Vortrags einmal vom Klavierhocker erhebt, hat das einen Grund. Dann will sie ihrem Spiel mit dem ganzen Körper Nachdruck verleihen. So temperamentvoll die junge Chinesin auch ist: Oft kommt das nicht vor. Die so berückende, elfenbeinerne Schönheit des Tones rührt fast vollständig aus dem Handgelenk, es muss die Kraft der Finger allein sein, die stupende Technik mithin, welche ihr Spiel so stringent, so unwiderstehlich entschlossen macht.

Selbst in den dichtesten Orchestermassen von Sergej Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 4 g-moll setzt sie sich in der Philharmonie durch, ohne viel Aufheben zu machen, allein durch die vollendete Schärfe ihrer Artikulation: wie ein Messer, das durch eine Substanz gleitet.

Wie vor einiger Zeit Leif Ove Andsnes beim selben Stück, fasst Yuja Wang auch das Figurenwerk Rachmaninows melodisch auf. Darüber legt sie die diskrete Emotionalität so unmittelbar frei, als ob sie ihren Part gerade in diesem Moment improvisieren würde. In zwei heiklen Zugaben steigert sie die pianistische Virtuosität sogar fast noch: In Franz Schuberts „Gretchen am Spinnrade“ in der Bearbeitung von Franz Liszt vereinigt sie in der rechten Hand allein Begleitung und völlig freien Gesang, im Finale der Klaviersonate Nr. 7 B-Dur von Sergej Prokofjew scheint sie ein ganzes Orchester aus der Tastatur des Steinways herauszustanzen. Besser geht es nicht.

Lustvoll aufgefahren

Bei so einer Solistin braucht sich der Dirigent nicht allzu sehr zurückzuhalten. Tatsächlich lässt Yannick Nézet-Séguin die Rotterdamer Philharmoniker, deren Chef er seit zehn Jahren ist, lustvoll auffahren. Auch in der einleitenden Symphonie Nr. 49 f-moll „La Passione“ von Joseph Haydn übertreibt er es nicht mit dem Historisieren, die Streicher vibrieren zwar schüchtern, doch der Klang ist so satt, dass die Bläser ein wenig unterbelichtet sind. Immer mehr entwickelt sich der Kanadier zu einem Ausdrucksmusiker, der bisweilen der Präzision des Zusammenspiels nicht zu viel Aufmerksamkeit schenkt.

Dazu kommt in der Symphonie Nr. 4 f-moll von Peter Tschaikowsky eine spontane, manchmal beliebige Tempogestaltung. Der Wille des Kanadiers, einzelne Episoden auszukosten, führt dazu, dass diese ein wenig isoliert werden. So läuft er Gefahr, den formalen Überblick zu verlieren. Ab und an sollte sich Nézet-Séguin auch einmal an die Kandare nehmen.

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