"Wir haben nicht für Stehgeier bezahlt"
Cameron Carpenter und das Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks im Prinzregententheater
MÜNCHEN - Am Ende ein Eklat auf den hinteren Reihen im ausverkauften Prinzregententheater: „Betrug!“ wird gerufen. Und: „Wir haben nicht für Stehgeiger bezahlt!“
Es ist das Ergebnis eines großen Missverständnisses. Denn Cameron Carpenter wird in seiner Exzentrik – mit seiner Irokesenfrisur, schwarzem Samtanzug und Stiefletten mit Strass-glitzernden Klotzabsätzen – zwar als klassischer Popstar vermarktet. Aber genau das ist der junge amerikanische Wahl-Berliner nicht.
Cameron Carpenter ist ein ernsthafter, publikumsscheuer, fast verhuschter Orgelvirtuose unter Genieverdacht. Und Können und Kunst hat er an diesem Abend gezeigt, nachdem er die Bühne betreten hatte – erst einmal ohne Noten, so dass er gleich noch einmal kurz abging. Wiederaufgetaucht verbeugte er sich nervös-lächelnd und schüttelte gleich Radoslaw Szulc am ersten Pult des Kammerorchesters des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks die Hand.
Ein höflicher Mann
Dann begrüßte er extra höflich noch die Basso-Continuo-Gruppe und den Theorbenspieler und begann mit Georg Friedrich Händels Orgelkonzert F-Dur op. 4. Ab jetzt war der Star nur noch in Rückenansicht zu sehen, was die um ihre Handyfotos besorgten Zuschauer irritierte. Deren Geknipse wiederum ärgerte diejenigen, die das Programm zuvor gelesen hatten und wussten, dass hier kein Klassik-Zirkus stattfinden würde, sondern ein klassisches Konzert. So prallte hier der eigentlich überwunden geglaubte Unterschied zwischen einem E-Musikprogramm und U-Musikpublikum zusammen.
Das Spannende an diesem Konzert blieb aber, wie die sagenumwobene, in jahrelanger Sample-Arbeit zusammengestellte Wunder- und Alleskönner-Orgel des virtuosen Tonbastlers und Soundtüflers Cameron Carpenter klingen würde. Hinten auf der Bühne stehen in einem Halbrund High-Tec-Boxen. Aus einigen ragen Trompetenpfeifen – feierlich popbühnen-leuchtend in rot-blau. Vorne steht der riesige, schwarze, halbrunde Orgeltisch, mit fünf Manualen und unzähligen Registerhaltern wie die Schaltzentrale eines Raumschiffs. Da sich die Orchestermusiker so um das schwere, zentrale Musikmöbel gruppieren mussten, wirkten sie von Anfang an wie Beiwerk. Dabei bestritten sie – wie angekündigt – die Hälfte des Programms ohne den Solisten Carpenter, was den falschen Eindruck verstärkte, um den „Top-Act“ betrogen zu werden. Außerdem gönnte Carpenter dem Publikum auch keine Zugabe. Musikalisch war der Abend aber ein Hochgenuss. Technisch ist Carpenter ohnehin nicht zu überbieten. Seine digitale Orgel führt zu einem gestochen scharfen Klang. Der geringe Tastenwiderstand, der keine Mechanik mehr auslösen muss, führt zur größtmöglichen Flüssigkeit im Spiel.
Technik und Wärme
In Francis Poulencs Konzert für Orgel, Streicher und Pauken gibt das der Orgel-Schwere noch in den hart hineinstoßenden Inferno-Akkorden etwas Leichtes. Und wenn ein Anklang an französische Straßenmusik erklingt, hilft die neue Leichtigkeit auch, das Behende eines Akkordeons ideal vorzuführen.
Zu alledem passt der Stil Carpenters, ein relativ hohes Tempo vorzulegen, ohne oberflächlich zu werden. Wer also hören wollte, bekam ein Meisterkonzert auf einem perfekten Instrument, das bei aller Digitalität auch Wärme ausstrahlen kann.
Hoch gelobt werden muss auch das Kammerorchester, das zusammen mit der Orgel einen wunderbaren Gesamtklang schaffte – im Stehen, zupackend und bestimmt, ohne die Öligkeit von Stehgeigern.
Im nächsten Konzert begleitet das Kammerorchester des BR-Symphonieorchesters am 19. Februar um 11 Uhr im Prinzregententheater die Geigerinnen Ana Chumachenco und Julia Fischer, Karten: Telefon 93 60 93