Wigald Boning und Roberto Di Gioia - die Platte zur Perücke

Der Komiker Wigald Boning und der Münchner Musiker Roberto Di Gioia gründen ein Musiklabel und veröffentlichen eine Box mit 8 Alben – alles selbst gemacht
Volker Isfort / Christian Jooß |
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Der Komiker Wigald Boning und der Münchner Musiker Roberto Di Gioia gründen ein Musiklabel und veröffentlichen eine Box mit 8 Alben – alles selbst gemacht.

Ihre musikalische Kreativität ist so überbordend, dass sie gleich eine ganze CD-Box füllt. Wigald Boning und der Münchner Musiker Roberto Di Gioia schlüpfen auf ihrem Projekt Hobby in verschiedene Rollen – und spielen ihre Konzeptalben beispielsweise als Punk, Chartstürmer, Inder oder Barockmusiker mit großem Witz und hinreißender Ideenvielfalt.

AZ: Herr Boning, wir wussten gar nicht, welche Instrumente Sie alle spielen können.

WIGALD BONING: Ich kann ja nichts richtig, zur Weltklasse wie bei Roberto reicht es ja nicht.

ROBERTO DI GIOIA: Falsch. Wigald kann alles richtig.

WIGALD BONING: Mein Können reicht immerhin aus, einen Komplettkosmos herzustellen, der auf keinem Gebiet in die Weltspitze ragt.

ROBERTO DI GIOIA: Eine Vision ist entscheidend. Man schafft eine Welt, die echt ist. Dazu reicht beispielsweise auch ein eher bescheidenes Sitar-Wissen.

Was war der Ausgangspunkt dieser Idee?

ROBERTO DI GIOIA: Wir haben uns 2003 über das Label ACT kennengelernt. Wigald hat ein Flötensolo auf meiner ersten Marsmobil-Platte gespielt. Wir haben das Jet-Set-Jazz-Album zusammen gemacht und wollten unbedingt weiter zusammenarbeiten. Die erste Idee war die „Band mit den vergilbten Fotos“. Wir haben komische Sachen zusammen gemacht, die nie irgendjemand hören wollte.

WIGALD BONING: Richtig los ging es aber mit dem Barock. Also, eigentlich haben wir uns zwei Barockperücken gekauft. Und dann wollten wir dazu eine passende Platte machen. Wir haben auf ebay nach einem Cembalo gesucht und fanden ein günstiges für 600 Euro von einem Dresdner Kirchenmusiker. Der entschuldigte sich gleich, das sei nur ein Schülerinstrument. Wir dachten, für uns wird das schon reichen. Es ist ein DDR-Instrument und sieht auch aus wie DDR in den 80er Jahren.

Wie lange braucht man für so ein Album?

ROBERTO DI GIOIA: Bei der Barockplatte haben wir allein drei Wochen für Bachs h-moll-Sonate geübt – jeder für sich. Aber eigentlich sind wir ja nicht von der langsamen Sorte. Bei „Charthits“ haben wir vormittags ein Stück geschrieben und nachmittags eins – dann aufgenommen und produziert. Das Album mit 17 Stücken wurde in einer guten Woche fertig.

Punk, indische Musik, Ragtime, Barock, Pop, Afro- Rhythmen – wer soll Ihnen bei all den Wechseln folgen?

ROBERTO DI GIOIA: Musik ist 360 Grad und nicht zwei Grad. Bei uns ist ein wahres Interesse da, kein intellektuelles Verkleiden, eher Method Acting. Ob es Tony Marshall ist oder eine h-moll-Sonate von Bach ist mir einerlei und Wigald sicher auch. Ich spiele selber Klassikkonzerte mit Harmonium in der Kirche und zwei Wochen später mit Udo Lindenberg MTV unplugged.

Ihr Konzept hat sich spielerisch über die Jahre entwickelt?

WIGALD BONING: Wir wollten etwas zusammen machen, sind aber auf Seite der Plattenfirmen immer auf ratlose Gesichter gestoßen. Irgendwann denkt man, es gibt nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder man fügt sich vermeintlichen Markterfordernissen oder man macht das, was einem persönlich Spaß macht – dann aber auf eigene Rechnung. Das ist ja auch keine gewaltige Investition heutzutage.

ROBERTO DI GIOIA: Ich habe mein Studio heute hier mit. Das ist mein Rechner.

WIGALD BONING: Wir verehren beide Sun Ra. Und die Tatsache, dass die sich im Chicago der 50er Jahre nicht nur eine Plattenpresse selber gekauft haben, sondern zeitweilig auch selber die Plattencover gemalt haben. Deswegen haben wir die Innenseiten unserer CD-Booklets auch selber gestaltet.

Wenn man Ihre 8-CD-Box das „krankeste Projekte auf dem Musikmarkt der letzten Jahre“ nennt, ist das dann eine Beleidigung?

WIGALD BONING: Nee. Das ist eigentlich ein Kompliment. Denn das, was die Plattenfirmen für gesund halten, ist ja auch schon ziemlich seltsam. Wir hatten ein ernsthaftes Gespräch mit einer Plattenfirma über unser „Charthits“-Projekt. Dann gab es aber ein, zwei inhaltliche Vorschläge, wo man sich sagte: Moment, das ist ja jetzt alles ein riesengroßes Missverständnis.

ROBERTO DI GIOIA: Wir haben einen wunderbaren Unterstützer in Michael Reinboth, dem Gründer von Compost Records. Er hat es als Einziger so verstanden, dass wir mit ihm sehr gerne jetzt ein eigenes Label gegründet haben.

Sind auch Künstler außer Ihnen auf dem Label geplant?

WIGALD BONING: Kann sein, dass es mal Alben gibt, an denen wir nur noch als elder statesmen beteiligt sind. Aber wir selber haben schon Ideen für die nächsten 100 Alben.

Selina, die Sängerin auf dem indischen Album, ist Finnin?

ROBERTO DI GIOIA: Genau. Wir wollten mal eine Platte machen, so wie sie in indischen Restaurants immer läuft. Dann rief mich Tim Ries, der Rolling-Stones-Saxofonist, an. Er brachte seine finnische Freundin mit. Wir fragten sie, ob sie eine Idee hätte. Sie kannte ein ingrisches Volkslied einer finnischsprachigen Minderheit in Russland, das passte wunderbar.

Können Sie uns das Konzept zum Album „21 Lieder, die Tony Marshall nicht singen wollte“ erklären?

ROBERTO DI GIOIA: Ich habe mit Rhythmen experimentiert, das sollte so afrikanischer Funk sein. Dann dachten wir, eigentlich wäre ja so ein zappaeskes Konzept super, nämlich der Ansatz: Was würde am wenigsten dazu passen? Dann kam die Idee: Schlagersänger...Mein lieber Freund Marc Marshall meinte, mit seinem Vater wäre dies doch perfekt. Also sind wir zu Tony Marshall nach Baden-Baden gefahren.

WIGALD BONING: Einer der schönsten Tage des Jahres. Er war gerade umgezogen in ein kleineres Haus, hatte allerdings nicht auf die alten Möbel verzichtet... allein die Jagdwaffensammlung! Unfassbar.

ROBERTO DI GIOIA: Das fiktive Konzept war: Die Stücke wären für ihn in den 70er Jahren entstanden. Vor einer Hütte in Namibia. Eigentlich war das damals der Ursprung für seine „Schöne Maid“.

WIGALD BONING: Wir haben das selber nicht so genau kapiert. Er hat es auch nicht kapiert, hat sich aber nichts anmerken lassen. Dann hat er 20 Minuten zu den Stücken improvisiert. Danach hat er uns zum Essen eingeladen...

ROBERTO DI GIOIA: ...in seine Raucherlounge, Kettenraucherlounge. Ein Grieche, wo er uns überredete, den Schafskäse zu probieren. Da kam dann eine Alufolie, in der sich ein riesiger gegrillter Schafskäse befand. Den mussten wir aufessen, obwohl wir gar keinen Hunger hatten. Mit Sodbrennen sind wir dann wieder in den Zug gestiegen.

„Hobby No. 8“ ist das Album mit der größten Schnittmenge zu Ihrem sonstigen Schaffen?

WIGALD BONING: Die Vorliebe für französische Softporno-Musik der 70er teilen wir beide komplett. Aber die Sängerin Maria Braun singt doch russisch!

ROBERTO DI GIOIA: Die habe ich in der Parfumabteilung bei Ludwig Beck kennen gelernt. Ich stellte mich vor, wir waren schnell per Du und ich fragte direkt: „Kannst du dir vorstellen, mit Wigald Boning Erotik-Musik zu singen?“ Sie sagte: „Mich schockst du nicht. Du nicht.“ Drei Tage später stand sie im Studio.

WIGALD BONING: Sie meinte, in Deutschland verstünde ja eh keiner, was sie da singt, also müsse es gar nicht um Sex gehen. Der erste Song ist ein Kochrezept für Borschtsch.

Und was singt sie auf dem Track „Viagra“?

WIGALD BONING: Das ist der russische Beipackzettel über Gefahren und Nebenwirkungen.

Welchen kommerziellen Nutzen kann die Box haben?

WIGALD BONING: Bei 500 CD-Boxen haben wir die meisten Investitionen wieder raus – das halte ich im Verkauf für machbar. Wir wollen das jetzt auch über die nächsten 15 Jahre weiterführen, bis wir so etwa 100 Alben haben.

Die CD Box (auch einzelne CDs) können hier bestellt werden: hobby-musik.com

 

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