"West Side Story": Hass frisst Liebe auf

München - Zwei junge Menschen begegnen einander, verlieben sich – und können aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft doch nicht zueinanderfinden. Die Geschichte, die „West Side Story“ erzählt, lockt auch 60 Jahre nach der Broadway-Uraufführung 1957 die Menschen ins Theater: Auf der einen Seite steht der Teenager Tony, Mitglied der Straßengang „Jets“, die sich aus Kindern polnischer Einwanderer im Immigrantenviertel New Yorks zusammensetzt.
Auf der anderen Seite Maria, die Schwester des gegnerischen „Sharks“-Anführers – puerto-ricanische Neuankömmlinge. In der Upper West Side der 50er Jahre bekämpfen sich die beiden Banden, während Tony und Maria sich annähern. Doch gegen den tiefsitzenden Hass der verfeindeten Lager haben sie keine Chance.
Erzählt wird diese Geschichte durch das Buch von Arthur Laurents, die Musik von Leonard Bernstein, die Gesangstexte von Stephen Sondheim und die Choreografie von Jerome Robbins. Letztere möchte Regisseur und Choreograf Joey McKneely wieder im Original auf die Bühne bringen – er war selbst Schüler von Robbins.
„Ich habe von ihm gelernt, aus dem Charakter und der Emotion heraus zu tanzen. Und er war sehr streng – das werde ich natürlich auch weitergeben“, sagt er.
Angst müssen seine sehr jungen Darsteller aber nicht haben. Sie sind es gewohnt, acht Mal die Woche aufzutreten. Mit nur einer Besetzung geht „West Side Story“ auf Tour, die Hauptrollen spielen allerdings die nicht mehr blutjungen Sänger Kevin Hack (Tony), Jenna Burns (Maria) und Keely Beirne (Anita).
„Die Standards von Bernstein sind so hoch, dass man erfahrene Sänger in den drei schwierigsten Rollen braucht. Man bekommt keine 18-Jährigen, die das singen können“, erklärt McKneely. Die größte Herausforderung für die jungen Darsteller sei es, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen, sich auf der Bühne zu exponieren. Das braucht es, wenn man Hass, Wut Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit glaubhaft darstellen will.
Auch diese Themen machen „West Side Story“ so aktuell, besonders nach der US-Wahl. „Hätte sich unsere Gesellschaft verändert, würden wir mit völlig anderen Augen auf die Geschichte blicken“, so McKneely. „Es wird immer einen Kampf zwischen zwei Seiten geben, die Angst voreinander haben, sich hassen und nicht teilen wollen. Leider ist die Folge davon die Zerstörung von Liebe – das ist Tonys und Marias Geschichte“.
Die Choreografie von Robbins will McKneely übernehmen, dem Schauspiel aber einen modernen Anstrich geben – weg vom sehr publikumsgebundenen Spiel hin zu einer eher naturalistischen Sicht. Der stereotype, museale Look der 50er Jahre soll verschwinden und stattdessen einer roheren, emotionalen Geschichte weichen.
Im Fokus stehen aber nach wie vor der Tanz und die weltbekannten Lieder wie „Tonight“, „Somewhere“, „America“ oder „I Feel Pretty“, die in voller Orchesterbesetzung unter Dirigent Donald Chan gespielt werden. McKneely hat nicht die Absicht, an der erfolgreichen Grundidee etwas zu ändern: „Ich glaube, die Leute, die das Musical ändern wollen, haben entweder Angst davor oder verstehen es nicht. West Side Story ist ein in sich perfektes Kunstwerk, das zufällig ein Musical geworden ist.“